Landgräfin Anna von Hessen 729
wo Brahms und Klara ihr 1864 die ihr dann als
F⹀Moll⹀Quintett gewidmete* Sonate für zwei Klaviere von Brahms vor⹀
spielten, gehörten mehr und mehr der Vergangenheit an. Doch blieb sie bis
ins hohe Alter in Verbindung mit den Meistern der Tonkunst, wenn sie auch
selber später nur im vertrauten Freundeskreise sich an den Flügel setzte. Da⹀
neben suchte sie Trost und Erhebung in der Betrachtung religiöser Fragen,
für die sie nach dem Briefwechsel mit dem Erzieher ihres Sohnes Wilhelm
schon früher ein lebhaftes Interesse hatte, nun aber nach den schweren Er⹀
fahrungen ihres Lebens besondere Neigung spürte. Von großer Bedeutung
war da für sie ihre alte Bekanntschaft mit dem Bischof Ketteler von
Mainz, der ihr Möhlers Symbolik empfahl und ihrem suchenden Geiste
mancherlei Anregung verschaffte. Der spätere öftere Aufenthalt in Fulda,
der Verkehr mit anderen hervorragenden Prälaten wie dem Bischof Kopp
und seinen Nachfolgern und nicht zuletzt die hehre, heilige Kunst der alt⹀
kirchlichen Liturgie brachten sie auch innerlich der Kirche immer näher, von
deren Gottesdienst sie zum erstem Male in ihrem Leben als dreizehnjähriges
Kind mit ihrem Vater zusammen im Kölner Dome beim Gesang der Vesper
einen überwältigenden Eindruck empfangen hatte. Ihr Entschluß, katholisch
zu werden, stand schon lange fest, seine Ausführung verzögerte sich aber bis
zum Jahre 1901, wo sie vorbereitet durch den Fuldaer Seminar⹀Regens
Schmitt am 9. Oktober vor dem Bischof Adalbert Endert zu Fulda
das katholische Glaubensbekenntnis ablegte. Sie selbst bezeichnete diesen
Schritt als ‚den einschneidendsten Markstein, das eingreifendste Geschehnis
ihres ereignisreichen, langen Lebens‘ und ließ in der Kapelle des bischöflichen
Priesterseminars, wo der Übertritt geschah, eine marmorne Gedenktafel
mit lateinischer Inschrift aufstellen. Fortan ging sie ganz in dem neuen Leben
auf, das ihre Seele erfüllte und ihrem Lebensabend einen reichen, sie tief
beglückenden Inhalt gab. Zweimal, 1902 und 1910, wallfahrtete sie nach
Rom, um den Segen des Papstes Leos XIII. zu empfangen, feierte 1905 mit
freudiger Anteilnahme das Bonifatiusjubiläum mit, das ihr die persön⹀
liche Bekanntschaft zahlreicher Kirchenfürsten vermittelte, und nahm trotz
ihres hohen Alters und seiner zunehmenden Beschwerden an katholischen Ver⹀
anstaltungen , wie dem großen Missionsfest zu Fulda, dem Eucharistischen
Kongreß von Köln und dem Katholikentag zu Aachen, teil. Besonders rege
Beziehungen unterhielt sie zu den Fuldaer Franziskanern, in deren dritten
Orden sie als ‚Schwester Elisabeth‘ eintrat, und zu dem Bonifatiuskloster der
Hünfelder Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria, das sie oft besuchte
und reich beschenkte, und dessen Mitglieder und Zöglinge oft ihre Gäste
waren.
Die Konversion der Landgräfin erregte, trotzdem sie schon längst voraus⹀
gesehen war, großes Aufsehen, umsomehr, als bekannt wurde, wie ungehalten
ihr kaiserlicher Neffe darüber war. Im seiner impulsiven Art schrieb ihr
Wilhelm II. damals einen vielbesprochenen Absagebrief, der zwölf Jahre
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* Sie schenkte Brahms dafür die Orginalpartitur von Mozarts g⹀Moll⹀Sinfonie.
Hochland 18. Jahrgang, März 1921. 6.