Full text: Der Kasseler Weinberg

10 ꝛ 
an der Hecke stehenden Apfelbäume Geräusch ver— 
nommen und sich deshalb, vom Gesträuch verdeckt, 
herangeschlichen habe; da habe er dann gesehen, daß 
ein, in diesen Plaudereien schon erwähnter, am 
Philosophenweg hausender Herr mit einem Sacke an 
der Hecke gestanden und seinem auf dem Baume 
befindlichen, ihm die Apfel zuwerfenden Sohne mit 
Bedauern zugerufen habe: „Schade, jammerschade, 
daß se nit noch en Tagner vierzehn länger hanken 
können, se sinn noch nit richtig reife zum Abmachen, 
aber wann mer se noch länger hanken lassen, weren 
se uns ohne Gnade und Barmherzigkeit gemaust, 
deswegen müssen mer se uns schon jetzt halbreif 
retten.“ — Er, Briede, sei dabei auf das ver— 
wünschte Diebsgesindel vorgesprungen, um den fort— 
eilenden Vater zu packen, sei dabei zu Fall ge— 
kommen und habe sich dabei eine funkelnagelneue 
Hose vor dem Knie aufgerissen; der Vater habe 
durch den Fall einen Vorsprung gewonnen und sei 
entwischt, und als Briede wieder zurückgekommen, 
sei natürlich auch der Sohn entschwunden gewesen. 
Ja, der Weinberg war zu jener Zeit eine recht er— 
giebige Domäne für Diebsgesindel und Vagabunden. 
Dicht vor dem Jägerschen Garteneingang von 
der Humboldtstraße war die Besitzung Sanssouci 
in den 80er Jahren durch eine Bruchsteinmauer 
abgegrenzt, welche sich nördlich bis zum Grundstück 
der Fabrikanten Gebrüder Stück hinzog, dann un— 
gefähr in der jetzigen nördlichen Straßengrenze der 
Terrasse, westlich bis zum Garten des Rates Stein— 
bach fortlief. Neben der Grenzmauer nördlich führte 
ein schmaler Fahrweg nach letzterem Grundstück, 
welches an dieser Stelle mit einem Lattentor ver— 
schlossen war; ein ähnliches Lattentor führte nach 
der Lohgerberei und Lederlackierfabrik der Gebrüder 
Stück, deren Lohgruben erst vollständig im Jahre 
1891 mit ihrem die Nachbarschaft oft sehr stören— 
den Gestank verschwunden sind, als die Fabrik durch 
den Schwiegersohn des älteren Stück, den Fabri— 
tanten Münster, vor das Wesertor verlegt wurde. 
Am westlichen Ende des früheren schmalen Garten— 
wegs (jetzige Humboldtstraße) befand sich als Ein— 
gang nach Sanssouci eine schief in den Angeln 
hängende verwetterte Bohlentür. Hatte man diese 
durchschritten, so hatte man auf der rechten nörd— 
lichen Seite eine tief ausgegrabene Kalksteinmulde 
vor sich, deren ausgegrabenes Material, wie ich 
durch Tradition erfuhr, zur Auffüllung der früheren 
Rennbahns0) (jetziger Garten und Exerzierplatz der 
Kriegsschule) verwendet worden ist. In dieser Kalk— 
steinmulde wurde Abfall aus den Nachbarsgärten, 
auch wohl aus den Häusern der Oberneustadt, als 
so) d. h. zur Ausfüllung des die Rennbahn vom Schloß 
trennenden sog. Bärengrabens, der in den Jahren 1760 
und 1763 zugeworfen wurde. 
Scherben, verfallene Tonöfen, verrostete Ofenröhren 
und Bauschutt heimlich abgelagert, und auf diesem 
Schutthaufen wuchs Wegerich, Huflattich, und hier 
ind da auch eine schöne Giftblume, wie Stechapfel 
isw. Hinter der Mulde westlich war der Hügel in 
einer ursprünglichen Form stehen geblieben und mit 
Ibstbäumen, hauptsächlich Kirschbäumen, bepflanzt, 
in welchen sich häufig die Fasanen aus der Fasanerie 
in der Karlsaue verflogen, die hier ihre Nachtruhe 
hielten und dann im Schlaf häufig beschlichen und 
nit Bohnenstangen heruntergestochen und geraubt 
vurden. So erzählte mir vor Jahren ein alter 
NRimrod, der als junger Mann selber hier Fasanen 
jestochen hatte. 
Auf der linken sfüdlichen Seite vom Eingang 
zatte man nach Durchschreiten der Pforte gleich ein 
chönes Wäldchen, welches sich den Berg hinabzog, 
ind von welchem heute noch eine Anzahl Bäume 
uinterhalb des Hauses Nr. 1 der Terrasse zu sehen 
ind. Von der Pforte aus führte ein gewundener 
Fußweg durchs Gras den Abhang hinab nach dem 
Wohnhaus (Philosophenweg 12), welches in den 
30 er Jahren noch große saalartige Gemächer hatte. 
Etwas westlich entfernt von diesem Hause zog 
—AV 
wovon noch heute einige schöne Bäume mitten auf 
dem Schlangenweg unter der Terrasse vor dem 
hause Nr. 11 (Kaufmann Atzert) stehen. 
Unterhalb des Wohnhauses lagen die Okonomie— 
zebäude, die nachher zu Wohngebäuden eingerichtet 
vurden, und von denen das größte jetzt vom Major 
»on Löwenstein bewohnt wird, welcher einen 
Teil von Sanssouci erwarb (Philosophenweg 28). 
Ende der 80er Jahre bin ich als junger Geselle 
in Sanssouci oft ein- und ausgegangen, welches 
»amals einer Witwe Kuchenbecker, einer statt— 
ichen, schwarzhaarigen Dame, mit einem Anflug 
hon Bärtchen über der Oberlippe, gehörte. Später 
vurde die Besitzung von deren Bruder, Konsistorial— 
cat Asbrand (Ger anfangs der 60er Jahre 
Metropolitan in Borken war), verwaltet. 
Früher hatte Sanssouci dem Großvater des 
Fabrikanten Schmidt (Schmidt « Keerl) gehört, 
velcher seinem Sohne dasselbe, zu 6000 Taler an— 
zesetzt, überlassen wollte; der Sohn schlug dieses 
Anerbieten aus, weil es ihm nicht rentabel erschien 
und auch Sanssouci für einen verlorenen Posten 
galt, wo sich die Füchse gute Nacht sagen. Später 
am Sanssouci wieder in den Besitz von (Schmidt 6) 
Keerl, nachdem es in dem des Konsuls Wede— 
künd (des Erbauers der Glitzerburg an der Kar— 
thäuserstraße) gewesen und dann getrennt in den 
Besitz der jetzigen Eigentümer. Dieses schöne Grund— 
stück, zu welchem noch mehrere Acker Land jenseits 
der Trußbach (einer Abzweigung des Druselgrabens)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.