Full text: Der Kasseler Weinberg

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Rechtsanwalt Dr. Karl Oetker (Friedrich Oetkers 
Bruder) mit dem Hause Nr. 15, und durch Dr. 
Richard Harnier mit dem Hause Nr. 17 bebaut 
wurde. — Hieran schlossen sich die Felsenkeller, oder 
vielmehr die Gärten über denselben, der Eissen— 
garthensche, westlich daneben der von Heine 
(nachher Schwaner), und unter diesem der von Pei— 
lert. — Unser Großindustrieller, Geheimer Kom— 
merzienrat Henschel, erwarb im Januar 1868 
zuerst den Schwanerschen Garten für 17000 Taler 
und ließ denselben, nachdem die hölzernen Wirt— 
schaftsgebäude entfernt waren, durch den Berliner 
Architekten Professor Lucä mit einer Villa und 
Nebengebäuden geschmackvoll bebauen; später (1887) 
wurde der Peilertsche Garten dazugezogen (der Kauf— 
preis betrug 60 000 Mark) und die Terrassenbauten 
in demselben durch den hiesigen Architekten Eubell 
mit großartigen Treppenanlagen und Pergola aus— 
geführt. — Heute (1891) besteht nur noch der 
Eissengarthensche Felsenkeller als öffentlicher Bier— 
garten.!*) 
In den dreißiger Jahren war das Terrain der 
Gärten über den eigentlichen Felsenkellern nicht, 
wie heute, durch hohe Futtermauern!9) geebnet, son— 
dern die Anlagen waren auf dem abfallenden Terrain 
mit Grottensteinen und Borkenhäuschen hergestellt, 
und nur auf einem kleinem Teil des Abhanges war 
durch Abtrag eine künstliche Ebene geschaffen, auf 
welcher auch eine Musiktribüne stand, die oft von 
Tyroler Natursängern, die damals Mode wurden, 
besetzt war. — Hier hat der damalige Referendar, 
der geniale Ernst Koch (Pseudonym Dr. Eduard 
Helmer), wie er selbst erzählt, seinen „Prinz Rosa— 
stramin“ zu schreiben begonnen und ist gleich im 
ersten Kapitel vom Probator Lamlius gestört worden. 
Für die Tyroler Sänger, die damals noch echt 
waren und jeden mit „Du“ anredeten, schwärmte 
zu jener Zeit alles, und auch Koch hat ihrer im 
21. Kapitel seines „Prinz Rosastramin“ in einer 
begeisterten Lobrede gedacht. — 
Das „Duzen“ war indes schon von dem Tyroler 
Professor Sylvester Jordan auf dem Felsen— 
keller eingeführt, der als Vertreter der Universität 
Marburg Mitglied der Kurhessischen Ständeversamm— 
lung war und großen Teil an der Verfassung von 
1831 hatte. — Jordan war im Sommer fast täg— 
licher Gast auf dem Felsenkeller, und auch seine 
9 Auch dieser besteht heute nicht mehr, seitdem er im 
Jahre 1901 für 800000 Mark in den Besitz der Familie 
Henschel übergegangen ist. An seiner Stelle erhebt sich seit 
1902 der Prachtbau des neuen „Hauses Henschel“. Über 
die Geschichte und den Untergang der Kasseler Felsenkeller 
gliden 383 von Karl Neuber im „Hessenland“ 1902, 
. 
160) Der Riesenbau der Henschelschen Stützmauern nach 
der Frankfurter Straße zu ist im Jahre 1903 begonnen. 
pätere Nachtigall, der Dichte Franz Dingel— 
tedt!“), wird nach 1836, wo er Eymnasiallehrer 
in Kassel wurde, oft mit seinen langen Fortschritts— 
deinen den Felsenkeller bestiegen haben. — 
Den Felsenkellern gegenüber an der nördlichen 
Zeite des Weges lag und liegt noch heute der schöne 
Park (auf dem Plan von Kassel vom Jahre 1740, 
vo die Stadt noch Festung war, liegt an dieser 
Ztelle ein Vorwerk derselben, das bei der Entfestigung 
768 wahrscheinlich zum Park umgewandelt wor— 
en war!s), welcher von der Weinbergstraße östlich 
ind südlich, von der Grimmstraße westlich, und 
»on der Humboldtstraße, am Eingang von der 
Wilhelmshöher Allee ebenfalls westlich, und dann 
iach Biegung der Humboldtstraße nach Westen, 
rördlich eingeschlossen wird, und welcher in der 
Are der Königsstraße mit einem Wohnhaus am 
Rondel bebaut ist. (Jetzt Stadtbauamt, Wilhelms— 
jöher Platz 5). 
Diese Besitzung hieß in den zwanziger Jahren 
und noch in den dreißiger Jahren die Ortlöppsche 
ind war dem Bruder der Favoritin und späteren 
weiten Gattin Wilhelms II., Gräfin Reichenbach, 
inem Herrn Ferdinand Ortlöpp, welcher zum 
Oberforstmeister und Oberpostdirektor erhoben und 
dann als Herr von Heyer, genannt Rosenfeld, 
zeadelt wurde, zur Benutzung übergeben.!“) Später 
am die Besitzung in das Eigentum der Gemahlin 
Friedrich Wilhelms, der Fürstin von 
Zanau, und endlich in den Besitz der Stadt Kassel, 
welche dem preußischen Staat als Aquivalent für 
die Gründung eines zweiten Gymnasiums in Kassel 
ein mehrere Acker großes Grundstück des Parks, an 
der Humboldt- und Grimmstraße gelegen, gratis 
abtrat und den größten Teil desselben im Ein— 
oerständnis mit den Testamentsvollstreckern der Ge— 
hrüder Murhard gegen deren Grundstück in der 
Wilhelmshöher Allee vertauschte, damit auf diesem 
chönen Punkte das Gebäude der städtischen Murhard— 
bibliothek demnächst errichtet werden könne.?0) 
— 
17) Dingelstedt war 1836—388 Lehrer am Kasseler Gym— 
nasium. Sein für die Befreiung Jordans an den Kur— 
prinzen-Mitregenten gerichteter ‚Ostergruß aus Kurhessen“ 
war seiner Zeit in aller Mund. 
186) Vol. S. 2, Anm. 6. Im Herbst 1902 wurde in 
inem Gebüsch an der Südwestseite des Parkes eine ver— 
stümmelte Statue Landgraf Wilhelms IX. aufgefunden 
mit der lateinischen Inschrift: Guilelmo IX. Qui nobis 
qaec otia fecit. Vgl. „Hessenland' 1902, Seite 304. 332. 
19) Unter dem Druck der Volksmeinung nahm er im 
September 1830 seinen Abschied und verließ Hessen. Er 
sttarb 1847 in Württemberg. 
20) Im Februar 1902 erfolgten die ersten Spatenstiche 
zum Bau der Bibliothek. Das nach den Plänen des 
Architekten E. Hagberg in Steglitz errichtete Gebäude wurde 
m April 1905 seiner Bestimmung überageben.
	        
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