Full text: Der Kasseler Weinberg

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daß seine Subaltern-Offiziere, wenn sie zum Hof— 
ball befohlen waren, sich bei schlechtem Wetter, um 
die Schuh zu schonen, von ihren Burschen „Hucke— 
pack“ ins Schloß tragen und unter dem Tor ab— 
setzen ließen. — 
Da nur sehr wenig Stadtwagen in der Residenz 
borhanden waren, so habe der Landgraf die Her— 
stellung einer Anzahl Sänften (Portechaisen) und 
die Benutzung derselben bei Hofbällen durch seine 
Offiziere befohlen. — 
Diese Sänften standen unter Aufsicht der Polizei 
und wurden in meiner Jugend noch oft von alten, 
schwachen Leuten benutzt, und ich erinnere mich noch, 
daß meine Großmutter sich in ihren letzten Jahren 
in einer solchen nach dem Hause meiner Eltern hin— 
und zurücktragen ließ. — Zuletzt dienten die Sänften 
als Krankentransportmittel, und die letzten amtlich 
angestellten Träger Donset und Dubay waren 
auf der Polizei stationiert, wo auch die Sänften 
intergebracht waren und bestellt wurden. 
Was nun die Berglehne betrifft, so wurde wirk— 
lich deren Umschaffung zu einem Weinberg etwa 
m Jahre 1765 in Angriff genommen?), es wurde 
Frde aufgetragen, Reben wurden aus Frankreich 
perschrieben, ein Weingärtner angestellt und für 
denselben ein Wohnhaus gebaut; dasselbe steht noch 
jetzt im Philosophenweg 16 und ist heute im Besitz 
des Herrn Aschrott. (Vor diesem Haus wurde bei 
dessen Erbauung auch ein Ziehbrunnen gegraben 
und über der Erde einige Meter hoch turmartig 
aufgemauert. Dieser Brunnen war früher in seiner 
einfachen Anlage mit Flaschenzug sehr malerisch und 
diente den angehenden Landschaftern der Kasseler 
Akademie oft zum Vorwurf, ist aber jetzt durch 
Vermauerung sehr verstümmelt und hat nichts Male— 
risches mehr an sich.) 
Der südliche Abhang des Weinbergs wurde nun 
errassiert, von der Frankfurter Landstraße an bis 
zur Gemarkung von Wehlheiden. Die Terrassen sind 
Jeute noch zu bemerken, besonders an der Ostseite, wo 
noch ein langes Stück der Terrassenmauer zu sehen ist. 
Die angepflanzten Reben der ersten Anlage ge— 
diehen indessen nicht, der Wein, welcher aus den 
gezogenen Trauben gekeltert wurde, war nicht trink— 
bhar und das ganze Unternehmen des Fürsten nicht 
rentabel. Auch der Versuch, die Trauben im Herbst 
in Kassel zu verkaufen, wozu einige Esel angeschafft 
waren, die mit Körben voll Trauben behangen durch 
die Stadt geführt wurden, schlug fehl; es waren 
wohl noch zu wenig Konsumenten vorhanden, die 
einen Hessen-Albus für das Pfund Trauben aus— 
geben konnten. — 
s) Nach Graßmeders Chronik wurde mit den Erd— 
arbeiten am Weinberg 1764 begonnen. Die Bepflanzung 
nit Weinreben erfolgte erst 1775. 
Der Landgraf bereute die vergeblich aufgewandten 
Mittel und fragte seinen Minister von Waitz 
»der von Schlieffen: „Meint Er nicht auch, 
daß Wir gut tun würden, das Grundstück, das 
uns so viel gekostet hat, ohne einen Heller einzu— 
hringen, zu verkaufen?“ (Die Minister selbst wurden 
uu dieser Zeit von ihren Fürsten noch mit „Er“ 
ingeredet. Der Minister stimmte bei und der 
zanze Weinberg, d. h. nicht allein die Berglehne 
yon der Frankfurter Landstraße bis nach Sanssouci, 
ondern auch die Ebene bis fast zur damals noch 
richt vorhandenen Wilhelmshöher Allee, wurde von 
wei bemittelten Käufern für zusammen 3000 Taler 
ingekauft und zwar so, daß dem einen Käufer, 
inem Rat Wittich“) GVater des nachherigen Stadt— 
zerichtsrats Wittich) die Berglehne für 1400 Taler 
ind die Fläche über derselben einem Herrn Ber— 
delett (einem Vorfahren der Familie Grandidier *) 
für 1600 Taler verkauft wurde. 
Die Käufer parzellierten alsbald ihre erworbenen 
Brundstücke und zwar auf der Ebene in rechteckige, 
in der Berglehne in rautenförmige Stücke von 
ziemlich beschränkter Größe, die Stücke an der Berg— 
ehne 510 Acker groß. Es wurden Hecken gezogen 
ind 4 Fuß breite Verbindungswege angelegt und 
n den ersten Jahren ein solches 5/16 Acker großes 
Stück für den Jahreszins von 1 Taler vermietet 
ind den Mietern überlassen, die Parzelle zu be— 
flanzen. — Manche der Mieter übernahmen mehrere 
olcher Stücke und schufen mit der Zeit hübsche 
ßärten aus denselben, daher die heutige Verschieden— 
sjeit der Größe und des Kulturzustandes der Grund— 
tücke. Fast in allen derselben aber wurde vor— 
jerrschend die Ostheimer Kirsche angepflanzt, welche 
ruch recht gut in dem Kalkboden gedieh, wes— 
halb nach kurzer Zeit der Weinberg zur Zeit der 
rirschblüte von der Frankfurter Landstraße aus 
zinen herrlichen Anblick gewährt haben wird, wie 
er denselben auch noch vor 30 Jahren gewährte. 
(Soweit der Bericht des obenerwähnten Malers 
Zrauskopf.?) 
9 Joh. Ad. Wittich war seit 1766 Sekretar, 1783 Rat 
hei der Kriegs- und Domänenkammer und starb 29. August 
800 zu Kassel im 62. Jahre. Seine Nachkommen waren 
tioch um 1837 im Besitze des größten Teiles der Berg— 
ehne. Vgl. Lobe, Wanderungen durch Kassel, S. 155. 
9) Vgl. dazu Anm. 6. 
) Dieser Bericht bedarf in einigen Punkten der Be— 
richtigung. Wie Herr Senator Dr. O. Gerland, der 
zründlichste Kenner der Geschichte hugenottischer Familien 
in Hessen, uns gütigst mitteilt, kommt der Name Berdelett 
in dem Stammbaum der Grandidiers nicht vor. Der 
Zrandidiersche Grundbesitz auf dem Weinberg stammt viel— 
nehr aus dem Nachlaß der Familie Du Ry, die seit dem 
Jahre 1765 Grundstücke in der Nähe der damals noch 
xistierenden Weinbergsschanze besaß. Hier ließ Karl 
Du Ry eine kreisrunde Vertiefung ringsum mit Rasen—
	        
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