Der Kasseler Weinberg.
rüheren Zustand und seine Besiedelung von H. Reinhard Hochapfel.
(Geschrieben im Winter 1891/92.)
Mit Anmerkungen von Dr. Philipp Losch.9
Fine Plauderei über seinen
And aber nach fünfhundert Jahren
Zam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich eine Stadt, und laut
Erschallt der Markt vom Volksgeschrei.
Ich fragte: Seit wann ist diese Stadt erbaut?
Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?
Sie schrien, und hörten nicht mein Wort:
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Und wird so gehen ewig fort.
Und aber nach fünfhundert Jahren
Will ich desselbigen Weges fahren.
Chidher von Rückert.
Wahrscheinlich war der Kalksteinhügel, der sich jetzt
in den Grenzen zwischen Königstor und Philosophen—
veg, Friedrichstraße und Augustastraße am Westende
der Oberneustadt erhebt, vor 200 Jahren oder noch
früher in demselben Zustande, wie seine Fortsetzung
nach Westen, zwischen Augustastraße und Wehlheiden.
Noch vor wenigen Jahren war dies ein mit spär—
ichem Gras bewachsener Kalksteinhügel, eine dürftige
Ziegenweide, wie ja früher im Munde des Kasseler
Holkes die damals noch unbebaute Gegend der Fried—
ichstraße und Fünffensterstraße die „Ziegenplantage“
sieß. Der offizielle, jetzt vergessene Name war „die
Elyseischen Felder“.
Wie alt die herrschaftliche Besitzung Sanssouci
im Westende des Weinbergs ist, ist mir nicht be—
annt. Jérome Napoleon ließ auf derselben
m Jahre 1812 das als Jagdschlößchen und Rendez—
»ous-Platz bestimmte, jetzt dem Kaufmann Wachs
zehörige Haus bauen (Philosophenweg 26, jetzt 64).
Iber die Entstehung des neuen Weinbergs habe ich
vor mehr als 20 Jahren einiges durch den damals
30 jährigen, mir befreundeten Maler Krauskopf?)
rfahren, welcher die Tatsachen von seinem, im
Dienste des Landgrafen Friedrich II. stehenden
PBater hatte; danach ist dieser katholisch gewordene
Fürst (derselbe, den Schiller in seinem Fragment
Die Geisterseher“ schildert) nach seinen Reisen, die
in Frankreich und Holland gemacht hatte, auf
ie Idee gekommen, im Westen der Stadt auf diesem
dalksteinhügel, oder vielmehr an dessen Südabhang,
vieder einen Weinberg anzulegen. — Der hohe
derr wollte aus seiner, 1760 noch vielfach Ackerbau
reibenden und im Komfort noch sehr zurückgebliebenen
stesidenz eine, auch auf Fremde einen sauber und
»ehaglichen Eindruck machende Musterstadt machen
ind soll damit angefangen haben, eine Anzahl Schuh—
yutzer auszustatten und in der Nähe des Schlosses
aufzustellen, damit die Besucher des Schlosses das—
'elbe mit sauberem Schuhwerk betreten sollten. —
Besonders soll dem Landgrafen auch mißfallen haben,
Wenn man ein Stückchen Erde liebgewonnen, das
auf unsere Kinderphantasie einen geheimnis—
»ollen Zauber ausübte und in seiner abgelegenen
Stille wißbegierig und ungestört durchforscht werden
konnte, dann in späteren Jahren der Schauplatz
unserer Leiden und Freuden war und das nun im
daufe der Jahre sich so sehr verändert, daß ein
Fremder, der dieses Stückchen Erde vor 30 Jahren
sah, es heute nicht wiedererkennen würde, so fragt
man sich: „Wie mag dieses Stückchen Erde vor
hundert und mehr Jahren ausgesehen haben, welche
Menschen wohnten darauf, was trieben sie und
welchen Anteil hatten sie an seiner Umgestaltung?“
AV
meiner Vaterstadt, dessen Veränderung ich seit
50 Jahren beobachtet habe und den ich seit 25 Jahren
hewohne.
Wie sein alter Name besagt, gehört der Kasseler
Weinberg zu den die alte Landgrafenstadt umgeben—
den Höhen, auf denen in früheren Jahrhunderten
ein ziemlich ausgedehnter Weinbau betrieben wurde.
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, namentlich
seit dem dreißigjährigen Kriege, waren diese Wein—
berge in Verfall geraten.
) Die nachfolgende Plauderei stammt aus dem Nachlaß
des am 7. Juni 1903 verstorbenen Malers Reinhard
Hochapfel, der zu den ältesten Pionieren des Kasseler
Weinbergs gehörte und seine Entwicklung mit aufmerk—
samem Auge verfolgt hat. Seit der Niederschrift des Auf—
atzes sind nun schon über ein Dutzend Jahre vergangen,
in deren Verlauf sich auf dem Weinberg, wie überhaupt
n Kassel, sehr vieles geändert hat. Der aufmerksame Leser
vird sich die nötigen Ergänzungen schon selbst machen,
oweit dies nicht in den von dem Herausgeber hinzugefügten
Anmerkungen zum Teil wenigstens geschehen ist.
) Justus Krauskopf, geb. 21. Nov. 1787, gestorben
4. Nov. 1869 zu Kassel als geschickter und sehr geschätzter
Zeichenlehrer. Er war ein Schüler des Pariser Malers
david.