Der Kurprinz und Frau Lehmann 1830
lassen zu wollen. Um dieselbe Zeit erfuhr seine Mutter, daß der Prinz tat—⸗
sächlich den unglücklichen Plan habe, sein Verhältnis zu der Geliebten durch
eine kirchliche Trauung zu sanktionieren, eine Nachricht, die dadurch bestätigt
erschien, daß Frau Lehmann am 26. Februar zum lutherischen Bekenntnis
übergetreten war. In ihrer Angst wandte sich die Kur fürst in an den Lan d—
grafen Friedrich und seine Tochter Luise mit der herzlichen Bitte, ihrem
„unglücklichen, verblendeten Sohn das Ungereimte und für ihn Verderbnis—
volle“ seines Planes vorzustellen. „Du und Dein unbeschreiblich gütiger und
einsichtsvoller Vater“ schrieb sie von Fulda aus am 15. März 1830 an die
Prinzessin Luise, „könnt es am allerersten, weil Ihr Fritz beweisen könnet,
daß, indem ihr ihm davon abhaltet, euerer eignen Familie Schaden thut —
denn wenn F. diese verrückte Heirath schließt — kömt Dein Neffe! ohnfehlbar
zur Regierung“. Wie weit die Vorstellungen des Landgrafen und seiner Toch⸗
ter auf den schwer zu beeinflußenden Kurprinzen Eindruck machten, läßt sich
nicht mehr feststellen. Jedenfalls erreichten sie aber einen Aufschub des Planes,
den der Kurprinz erst etwa anderthalb Jahre später in aller Heimlichkeit aus—
führte, nachdem er durch seinen Wegzug von Frankfurt dem Einfluß der land⸗
gräflichen Verwandten entzogen war.? Was die Kurfürstin befürchtet hatte,
trat dann ein, nur ihre Prophezeiung über den Regierungsnachfolger machte
Bismarcks Politik später zunichte.
Bei unausgesetzter Beschäftigung mit der Verwaltung seiner Besitzungen
Rumpenheim, Viermünden und Bürgeln flossen Landgraf Friedrichs fernere
Tage in ruhiger Stille dahin, nur unterbrochen durch gelegentliche Reisen zu
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am Main. Festliche Tage waren es, wenn sich diese, Kinder und Enkel, zu—
letzt auch eine Urenkelin, um den greisen Fürsten versammelten und ihm in
herzlicher Eintracht huldigten. Wie ein Patriarch erschien dann der alte Land—
graf im Kreise seiner großen Familie, die diese Zusammenkünfte als ein tra—
ditionelles Erbteil von ihm übernahm und nach seinem Tode noch lange fortsetzte.
Bis ins höchste Greisenalter an Körper und Geist überraschend rüstig,
konnte Landgraf Friedrich noch manches Jahr lang sich dieses herzlichen
Prinz Friedrich Wilhelm, der älteste Enkel des Landgrafen Friedrich (vgl. oben S. 30).
Dem Thlone näher stand eigentlich der einzige noch lebende Sohn des Landgrafen Carl,
Prinz Friedrich (1771 — 1845), der aber auch in morganatischer Ehe lebte.
2 „Er wolle keine Maitresse und keine Gemahlin, sondern eine Frau haben“ soll er
geäußert haben. So berichtet sein ehemaliger Lehrer Wilhelm Grimm, der ihn im Herbst
1830 in CTassel besuchte. „Das kann ihm wohl gefallen, aber dem Lande kanns nicht
gefallen, daß seine Kinder nicht successionsfähig sein sollen“ schrieb Wilh. Grimm am
20. Dez. 1830 darüber an Achim von Arnim.
3 Die spätere Herzogin Adelheid von Nassau.