Full text: Aus dem Leben des Landgrafen Friedrich von Hessen auf Rumpenheim: 1747-1837

34 Gräfin Reichenbach Wilhelm II. in Hanau 1821 
krankhaft reizbaren Kurprinzen zum Herrscher machte, da sollte es nicht lange 
dauern bis zum offenen Bruche. 
Der neue Kurfürst lebte seit 1815 getrennt von seiner Gemahlin, der preus⸗ 
sischen Prinzessin Auguste, die es nicht verstanden hatte, ihn dauernd an sich 
zu fesseln. Dem Beispiele seines Vaters folgend, hatte Wilhelm II. in der 
diebe der schönen Berliner Goldschmiedstochte Emilie Ortlöpp einen 
Ersatz für das ihm fehlende eheliche Glück gefunden. Solange der alte Herr 
am Ruder war, lebte die Geliebte in erzwungener Zurückgezogenheit in Cassel. 
Nach dem Regierungswechsel zur Gräfin Reichenbach erhoben, trat 
die ehrgeizige und herrschsüchtige Dame sofort mit dem Anspruch auf, am 
Hofe zum mindesten eine ähnliche Rolle zu spielen, wie sie etwa die Gräfin 
Hessenstein, die Geliebte Wilhelms J., eingenommen hatte. Die neue Gräfin 
machte in der Casseler Gesellschaft Besuche und hatte auch die Dreistigkeit, 
bei dem Landgrafen und der Landgräfin Friedrich anzuklopfen. Um einen Eklat 
zu vermeiden, mußte sie wohl oder übel angenommen werden, aber der Em⸗ 
pfang war so kühl, daß die Reichenbach, wütend darüber, daß ihr nicht ein⸗ 
mal ein Stuhl angeboten war, nach Hause zurückkehrte. Landgraf Friedrich 
hatte das Verhältnis seines Neffen zu der Dame niemals gebilligt, noch 
weniger konnte seine Gemahlin sich zu einem Verkehr mit ihr verstehen. 
So fühlten beide, daß unter den veränderten Verhältnissen ihr Aufenthalt 
in Cassel für sie unerträglich werden würde. Ihre Schwiegertochter, die Prin— 
zessin Wilhelm, kehrte nach Kopenhagen zurück, und die landgräfliche 
Familie zog nach Rumpenheim. Aber auch hier sollte sie keine Ruhe vor 
dem Zorn der gekränkten Maitresse finden. Als der neue Kurfürst auf seiner 
ersten Reise durch Hessen im Juni 1821 nach Hanau kam und bei den dor⸗ 
tigen Empfangsfeierlichkeiten den Landgrafen Friedrich vermißte, da geriet 
der durch die Reichenbach aufgehetzte Fürst in maßlose Wut, zumal er sich 
schon darüber geärgert hatte, daß seine Gemahlin ein paar Tage vorher in 
Rumpenheim gewesen war. In dieser Stimmung schrieb er am 14. Juni 
den folgenden schier unglaublichen Brief an seinen Onkel: „Mein lieber Land⸗ 
graff! Es hat Ewr. Lbd. beliebt ein früheres Benehmen fortzusetzen, welches 
schon seit vielen Jahren durch Allerhand Tramerien gegen Mich anfing 
und wovon Ich Meines Orts die Sprechensten Beweise in Händen habe. 
Ich habe es dennoch unter Meiner Würde gehalten, seit dem Antritt Meiner 
Regierung eine Erwähnung davon zu thun, wie Ew. Durchl. wissen, und es 
weeder Ihnen noch Ihrer Familie im Mindesten fühlen zu lassen. Der Ab⸗ 
sichtliche Mangel Ihres Mir als Souverain und Chef Meines Hauses schul⸗ 
digen Respectes ist Mir gestern abermals bemerklich gewesen: wo jedermann
	        
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