Reise des Landgrafen nach England 1818 —21
Bei der Festvorstellung im Theater sprach der beliebte Charakterdarsteller
v. Zieten⸗Liberati einen Prolog, in dem es mit Anspielung auf die englische
Großmutter der Braut hieß:
So sehen wieder wir die schönen Bande
Erneuern sich, die einst vor 80 Jahren
Uns hergeführt von Großbritanniens Strande
Die hohe Königstochter zu den Laren
Des Fürstentums in unserm Vaterlande ...
Trotz seiner 70 Jahre ließ Landgraf Friedrich es sich nicht nehmen,
seine Tochter nach der neuen Heimat zu geleiten und damit noch einmal das
Geburtsland seiner Mutter zu besuchen, das außer ihm keiner ihrer Söhne
je gesehen hat. Die Uberfahrt geschah auf der königlichen Hacht Royal Sove—
reign, an derem Mast eine Flagge mit den vereinigten Wappen von Groß⸗
britannien und Hessen flatterte. (Diese Ehre kostete allerdings die stattliche
Summe von 90 Guineen, wie der Landgraf dem Kurfürsten schrieb.) Bei
der Ankunft in Dover am 25. Mai wurden die Reisenden von einer riesigen
Menschenmenge stürmisch begrüßt. Da die junge Herzogin sehr unter der
Seekrankheit gelitten hatte, mußte sie sich gleich in dem am Strande befind⸗
lichen Wrights Hotel zu Bett legen und konnte sich der Volksmenge nicht
zeigen, die das Hotel förmlich umlagerte. Statt ihrer mußte der Herzog
und der alte Landgraf am Fenster erscheinen und für die Ovationen danken.
„Der Vater der Herzogin“ schrieb der Korrespondent der Londoner Gazette
„ist ein venerable old gentleman, etwa 70 Jahre alt, mit der Haltung und
dem Aussehen eines wirklich guten Menschen“. Man glaubte in ihm eine
große Ahnlichkeit mit dem populären russischen Kosakenführer Hetman Platov
zu entdecken, der kurz vorher London besucht hatte. Uber die Ankunft in
London schrieb der Landgraf nach Cassel: „Ich bin tiefgerührt von der Herz⸗
lichkeit, mit der man meine Tochter hier aufgenommen hat. Kaum hatten
wir uns in Cambridgehouse zu Tische gesetzt, so erschien der Prinzregent!,
der Herzog von Nork und der Herzog und die Herzogin von Gloucester,
die den Abend bei uns zubrachten. Der Prinzregent lud uns zum Diner ein,
aber der Herzog entschuldigte uns, weil meine Tochter von der Reise noch
zu abgespannt war. Ich habe meine Besuche zu Fuß und im Frack bei allen
Prinzen gemacht, die mich alle sehr freundschaftlich empfingen, besonders der
Regent, bei dem ich eine Stunde war und der mir die ganze Pracht seines
Der spätere König Georg IV. und der Herzog von NYork waren Brüder des Herzogs
nidge Den Herzog von Nork kannte der Landgraf seit dem Feldzug von 17983
in Flandern.