Wilhelms Regierungsantritt in Hanau 1764 79
Zuͤgel der lange heiß ersehnten Alleinherrschaft ergriff. Denn eine Allein⸗
herrschaft sollte es sein nach seinem Wunsch und Willen, ganz abge⸗
sehen davon, daß in Hanau keine Landstaͤnde existierten, auf deren Wuͤnsche
und Gerechtsame man, wie etwa in Hessen, Ruͤcksicht zu nehmen haͤtte.
Ueber die Schwierigkeit seiner Lage war sich Wilhelm durchaus klar:
„Ich brachte eine junge Frau mit mir, der es an Liebe und Aufmerk—
samkeit fuͤr mich fehlte; ich sollte ein Land regieren, in dem fast jeder
gegen mich war, weil man mich bereits als einen Menschen kannte, der
in allem die strenge Ordnung liebte, waͤhrend unter der Vormund—⸗
schaftsregierung jeder getan hatte, was ihm gut duͤnkte; denn die Be—
amten waren fast alle in ihrer Verwaltung ihre eigenen, unbeschraͤnkten
Herren gewesen. Zu alledem haͤtte ich die sichere Ungnade meiner Mutter
zu erwarten, wenn ich Verschuer verletzte, der immer noch in alles hinein⸗
reden, in alles sich mischen wollte.“ Aber das hielt ihn nicht ab, sich
mit der ganzen ihm eigenen Tat⸗ und Arbeitskraft seiner neuen Aufgabe
zu widmen. Hatte ihm vorher das Studium der Regierungsgeschaͤfte
keine rechte Freude gemacht, so gab er sich ihm jetzt mit angestrengtem
Fleiß und Eifer hin. In der ersten Zeit mußte er, dem Land und
Leute und die ganzen Verhaͤltnisse noch voͤllig fremd waren, sich noch
ganz auf den Beistand seines Geheimen Ratskollegiums verlassen, bis
er sich allmaͤhlich auch von diesem mehr und mehr emanzipierte. Von
seinen vier Mitgliedern konnten nur zwei, Guͤnderode und Hombergk,
auf eine laͤngere hanauische Dienstzeit zuruͤckblicken. Von ihnen schaͤtzte
Wilhelm besonders den Vizekanzler Hombergk zu Vach) als einen
kenntnisreichen und rechtschaffenen Mann trotz seiner schroffen Manieren.
Weniger hielt er von dem gelehrten Juristen Joh. Maxim. v. Guͤnde—
rode,?) dem Großvater der durch ihren Selbstmord und Bettinens
Buch beruͤhmt gewordenen Frau der Romantik. Der vergrub sich gern
in die Buͤcher seiner mit großer Liebe gesammelten umfangreichen Bib—
liothek und war auch nicht sehr ungluͤcklich, als er schon nach zwei
Jahren (Nov. 1766) pensioniert wurde und sich in sein Tuskulum nach
Hoͤchst an der Nidder zuruͤckziehen konnte, wo er als einer der ersten
1) Wilh. Friedr. Hombergk zu Vach, * 17. Mai 1713 zu Marburg, wurde 1744
Regierungs- und Konsistorialrat zu Hanau. Von 1756—64 im Dienste der Stadt
Bremen, kehrte er dann als Nachfolger des 7 Vizekanzlers Wiederhold nach Hanau
zuruͤck. 1772 Wirkl. Geh. Rat und Kanzler, 1783 pensioniert, 7̃ 14. August 1784.
2) Joh. Maxim. v. Guͤnderode * 4. Febr. 1713 zu Frankfurt wurde 1750 Re—
zierungs⸗ und Hofgerichtsrat zu Hanau, 1759 Direktor der Rentkammer. 1766 als
Oberamtmann von Windecken und Ortenberg in den Ruhestand versetzt, starb er 29.
November 1784 zu Hoͤchst a. N. Sein aͤltester Sohn Philipp Maximilian war spaͤter
hessischer Reichslagsgesandter in Regensburg.