Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

78 Die Residenzstadt Hanau Philippsruhe 
dem Wasser der Kinzig umspuͤlte Schloß einen altertuͤmlichen, umfang⸗ 
reichen Haͤuserkomplex, der von zwei großen Tuͤrmen, dem Heidenturm 
und dem Taubenturm, uͤberragt wurde. Um wenigstens im Sommer 
den ungesunden Duͤmsten des Inselschlosses zu entgehen, hatte Graf 
Philipp Reinhard seit 1701 an den Ufern des Mains bei Kesselstadt 
sich eine stattliche Sommerresidenz erbaut und nach seinem Namen 
Philippsruhe genannt. Und mit bescheidenem Stolz konnte er von 
seiner stattlichen Gruͤndung an der Berliner Hoftafel erzaͤhlen, „er habe 
dieses kleine ouvrage vermittelst zweier franzoͤsischer sehr experimentirter 
Baumeister zu stande gebracht und damit auch einigermaßen reussiret“. 
In der Altstadt, dicht bei dem Schlosse, lag auch das sog. alte Salz— 
haus, das der Witwe Philipp Reinhards als Witwensitz diente (vgl. 
S. 67), seitdem sie das umstrittene Schloß von Babenhausen hatte 
raͤumen muͤssen. 
Ein fast dreifach so großes Areal als die Altstadt umfaßte die 
Neustadt mit ihren gradlinigen Straßen um den großen Marktplatz 
und die niederlaͤndisch⸗wallonische Doppelkirche, die bis auf den heutigen 
Tag an die Entstehung dieses Stadtteils erinnert. Sie war 1597 
unter dem Grafen Philipp Ludwig II. von Wallonen und Nieder⸗ 
laͤndern erbaut worden, die um ihres Glaubens willen aus der Heimat 
dertrieben, hier unter dem Schutze des Grafen eine neue bluͤhende Heim⸗ 
statt sich begruͤndet hatten. Was Hanau damals schon an Handel und 
Bewerbe, namentlich in seiner Gold⸗, Silber⸗, Seiden⸗, Textil- und 
Tabaksindustrie, besaß, verdankte es im wesentlichen diesen Fremdlingen, 
die als die angesehensten und wohlhabendsten Bewohner dem ganzen 
Gemeinwesen sein ganz besonderes, eigenartiges Gepraͤge gaben. Da—⸗ 
neben spielte die kleine Universitaͤt, als eine solche konnte die 1607 be— 
gruͤndete Hohe Landesschule mit ihren 4 Fakultaͤten betrachtet werden, 
fuͤr das staͤdtische Leben eine nur untergeordnete Rolle, genuͤgte aber 
den Beduͤrfnissen des kleinen Landes, ohne eine daruͤber hinausgehende 
Bedeutung zu beanspruchen. 
Mit gespannten Erwartungen sahen die Hanauer dem Regierungs⸗ 
antritt ihres jungen Landesherrn entgegen, der am 12. Oktober 1764 
seinen Einzug in ihre Mauern gehalten hatte. Am naͤchsten Tage 
erschien eine gedruckte Proklamation, worin der Erbprinz seiner Mutter 
fuͤr die „wegen Unserer fortdauernden Abwesenheit auf Unser bittliches 
Ersuchen glorwuͤrdig fortgefuͤhrten“ Vormundschaftsregierung seinen Dank 
aussprach und als regierender Graf von Hanau nunmehr selber die
	        
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