Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

86 SHoffstaat der Erbprinzessin Verschuer spiritus rector 
falls lange den Regierungsantritt verweigerte, aber Wilhelms Respekt und 
seine Liebe zur Mutter war dennoch zu groß, um ihn zu einer ernsten 
Opposition gegen sie zu veranlassen. Um so heftiger war sein Groll 
gegen Verschuer, dessen Ratschlaͤgen er seine Zuruͤcksetzung zuschrieb 
und dessen Raͤnke er uͤberhaupt in allen Maßregeln der Landgraͤfin 
witterte. Es kam zwischen ihm und dem Kammerherrn zu heftigen Zu—⸗ 
sammenstoͤßen, aber als er und Carl sich bei Marien direkt uͤber Ver—⸗ 
schuers Auftreten beschwerten, hatten sie kein Gluͤck. Die Landgraͤfin er⸗ 
klaͤrte, Verschuer sei ihr unentbehrlich, ihre Soͤhne sollten ihn und sie 
in Ruhe lassen. So sah sich der junge Prinz, der mit großen Erwar— 
tungen nach Hanau gekommen war, recht enttaͤuscht und fuͤhlte sich bald 
bereinsamt und verlassen, besonders als kurz nach der Ankunft der General 
v. Keyserlingk ploͤtzlich starb. Am 285. April hatte er noch wohl und 
heiter mit Marie und ihren Soͤhnen an der Hoftafel gesessen, war dann 
aufgestanden und wurde vor der Tuͤre vom Schlage geruͤhrt. Der Erbprinz 
hatte zwar mit seinem alten Gouverneur auch manchen Strauß ausge⸗ 
fochten und sich nicht immer dessen reiferer Erfahrung gern gefuͤgt, emp⸗ 
fand aber diesen ploͤtzlichen Verlust, der ihn des letzten Vertrauten seiner 
Jugendzeit bexraubte, unter den obliegenden Verhaͤltnissen besonders hart. 
Um so enger schloß er sich an seinen neuen Kammerjunker Gall, ehem. 
Kapitaͤn im Regiment Erbprinz, an, den Marie ihm in Hanau attachierte, 
obwohl er in dessen Ernennung, sowie in der des Obermundschenken 
Schenk zu Schweinsberg, die, wie alle Ernennungen von Hof— 
und Regierungsbeamten, uͤber seinen Kopf hin erfolgten, zunaͤchst nur 
die Hand Verschuers gesehn hatte. 
Außer diesem spiritus rector des ganzen kleinen Hofstaates war die 
hedeutendste Persoͤnlichkeit in Hanau der zum Stadtkommandanten er⸗ 
hobene General Huth!), einer der verdientesten Artillerieoffiziere des 
Siebenjaͤhrigen Krieges, den Friedrich der Große mit dem Scherzwort 
„ein kleiner Huth, aber ein großer Kopf“ charakterisiert haben soll. Noch 
waͤhrend des Krieges war er aus hessischem in hannoͤverschen Dienst 
uͤbergetreten, hatte die Belagerung Cassels leiten helfen und war dann 
der Landgraͤfin nach Hanau gefolgt, wo er Gelegenheit fand, den beiden 
1) Wilhelm Huth, * 1712 zu Kostewitz in Sachsen, war bis 1760 hessischer Oberst 
der Artillerie, dann hannoͤv. Generalmajor. Seit 25. Februar 1763 in hanauischen 
Diensten ging er 1765 nach Daͤnemark, wurde dort CKhef des Artillerie- und Ingenieur⸗ 
korps, 1766 Generalleutnant, 1772 General der Infanterie, 1776 geadelt. NRahm an 
der Hofrevolution von 1784 regen Anteil und starb am 6. Mai 1806 zu Kopenhagen. 
Auch nach seinem Uebertritt in daͤnische Dienste kam er oͤfters nach Hanau und war 
sahrelang dort Gast des Erbprinzen.
	        
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