Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Marie als Regentin von Hanau 
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Ach Hanau, wieviel tausend Thraͤnen, 
Nein, Millionen Schmerz und Pein 
Sah man mit angsterfuͤlltem Sehnen 
Nach Gott um die Befreyung schreyn? 
Wir denken noch mit Angst und Zittern, 
Wie blitzend in den Donnerwittern 
Das Ungluͤck durch die Gegend drang. 
Da fast des Landes Noth am groͤßten 
Kommst Du, Du Mutter, uns zu troͤsten 
Das Klagen wird Dein Lobgesang. 
Mit großem Eifer widmete sich die Landgraͤfin der neuen Aufgabe 
in dem Bestreben, ihrem Sohne das Haus, worin er von nun an als 
Regent schalten und walten sollte, in moͤglichst geordnetem und wohl⸗ 
eingerichtetem Zustand uͤbergeben zu koͤnnen. Es war keine leichte Auf— 
gabe fuͤr die in die Regierungsgeschaͤfte wenig eingeweihte Fuͤrstin. Der 
Vizekanzler Wiederhold, der in der Franzosenzeit die Verwaltung 
mit Umsicht geleitet hatte, war noch waͤhrend der Okkupation (6. Nov. 
1761) gestorben, und wenige Wochen nach ihrer Ankunft mußte Marie 
nun auch noch den ploͤtzlichen Tod ihres getreuen Regierungsrats Hein) 
beklagen, der namentlich seit Wilhelms VIII. Tod ihr sachverstaͤndigster 
Berater und ihre unentbehrliche Stuͤtze in allen Angelegenheiten gewesen 
war. So war sie einstweilen nur auf die Unterstuͤtzung durch die alten 
hanauischen Geheimraͤte, den Vizekanzler Hombergk zu Vach und den 
Kammerdirektor v. Guͤnderode angewiesen, bis sie in dem aus Cassel 
berufenen Oberjaͤgermeister v. Berlepsch einen Ersatz fuͤr Hein fand. 
Es war durchaus begreiflich, daß Marie ihren Sohn Wilhelm 
nicht sofort selbstaͤndig wirtschaften und regieren ließ. Der noch nicht 
zwanzigjaͤhrige Prinz hatte ja den Boden seines kleinen Landes jetzt zum 
ersten Male betreten, und es fehlte ihm jede Sachkenntnis und Erfah— 
rung. Die sollte er sich erst durch regelmaͤßige Teilnahme an den Re— 
gentschaftsratssitzungen erwerben, wodurch ihn Marie in die Geschaͤfte 
einzufuͤhren gedachte. Wilhelm aber empfand die Tatsache, daß von 
seinem wirklichen Regierungsantritt gar keine Rede war, als eine kraͤn— 
kende Zuruͤcksetzung und als einen Bruch des Hausgesetzes. Er fuͤhlte 
sich in der gleichen Lage wie sein Ahnherr, der Landgraf Carl, dessen 
herrschsuͤchtige brandenburgische Mutter dem laͤngst muͤndigen Sohn eben⸗ 
1) Levin Georg Friedr. Hein (1716—63), war ein Schwiegersohn des Vizekanzlers 
Hombergk zu Vach. Von seinen Soͤhnen trat der aͤlteste, Christian, in daͤnische Militaͤr— 
dienste, der jsuͤngere, David, wurde Hofgerichtsrat in Hanau. 
Zosch, Kurfuüͤrst Wilbelm J.
	        
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