Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Erbprinz Wilhelm und Koͤnig Friedrich V. 
nissen der Heimat zu weit entruͤckt, um groͤßeren Anteil daran nehmen 
zu koͤnnen. Auf Mariens Veranlassung mußte ihm der Geheimrat 
Graf Bernstorff) uͤber die allgemeine politische sowie uͤber die haus⸗ 
und familienrechtliche Lage Vortraͤge halten, in die er mit seinen Bruͤdern 
durch den Tod Wilhelms VIII. versetzt war. Da Wilhelm noch nicht 
muͤndig war, so aͤnderte sich fuͤr ihn einstweilen nichts, als daß er am 
daͤnischen Hofe mit einer neuen Etikette umgeben wurde, die ihm u. a. 
die leidige Nachbarschaft des franzoͤsischen Gesandten an der koͤniglichen 
Tafel ersparte. Er speiste jetzt mit dem Koͤnige allein und wurde uͤber⸗ 
haupt nun als zukuͤnftiger Schwiegersohn naͤher an dessen Person heran⸗ 
gezogen. Anlaͤßlich der prunkvollen Jahrhundertfeier der durch Friedrich III. 
begruͤndeten absoluten Koͤnigssouveraͤnitaͤt verlieh ihm Friedrich V. 
am 16. Oktober 1760 den Elefantenorden. Der siebzehnjaͤhrige neue 
Ritter waͤhlte die Devise »singulis varius, omnibus utilis«, legte 
aber keinen großen Wert auf die Auszeichnung »n'ayant été jamais 
sensible à ces sortes de chosesc«. Als Friedrich V. im Sommer 
1761 seine Residenz in Fredensborg aufschlug, mußte Wilhelm ihn 
dorthin begleiten und war sein unzertrennlicher Begleiter bei den wilden 
Dauerritten, die der Koͤnig nach der Tafel zu machen liebte. Der 
Erbprinz war nicht unempfaͤnglich fuͤr die koͤniglichen Gunstbeweise und 
wußte die Freundschaft des Oheims wohl zu schaͤtzen, fuͤhlte sich aber 
dennoch im Kreise der eigentlichen Hofgesellschaft nie so recht wohl und 
beneidete seine Bruͤder, die waͤhrend dieser Zeit auf Hirschholm bei der 
Koͤniginmutter frohe Tage verlebten. 
Am 3. Juni 1761 hatte Wilhelm sein 18. Lebensjahr vollendet. 
Nach Reichsfuͤrstenrecht und den hessischen Hausgesetzen war er fortan 
muͤndig, aber seine Mutter machte keine Anstalten, die Konsequenzen 
daraus zu ziehen. Da ein faktischer Regierungsantritt in Hanau zur 
Zeit noch nicht moͤglich war, so empfand der Prinz diesen Punkt eben 
nicht allzuschwer, umsomehr schmerzte ihn, daß seine Mutter fuͤr den 
in ihm erwachenden Tatendrang und Freiheitsdurst des Juͤnglings 
so wenig Verstaͤndnis und Entgegenkommen zeigte. Der Unterricht 
seiner Lehrer befriedigte ihn nicht mehr, sein lebhafter Charakter und 
1) Andr. Peter Graf Bernstorff (1735—97), der Neffe des Ministers d. Ausw. 
Joh. Hartw. Ernst B., dessen Nachfolger er wurde. — Es haͤtte nahegelegen, den 
hessischen Gesandten v. Frankenberg mit dieser Aufgabe zu betrauen. Aber ein— 
mal kannte Marie die Abneigung ihres Sohnes gegen diesen, und dann war Fr. als 
offizieller Gesandter Friedrichs II. auch wohl nicht mehr in der Lage, ihren rechtlichen 
Standpunkt gegenuͤber seinem neuen Herren zu vertreten, der ihn auch schon im Mai 
1760 nach Cassel zuruͤckberief.
	        
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