Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Landgraf Friedrich II. und seine Familie 51 
aller Urteil auch die rechtlich anfechtbarsten. Mehrfach versuchte er, 
die Verbindung mit seinen ihm entrissenen Soͤhnen wieder herzustellen. 
Er ließ Sévery, der nach Koͤllers Tode (vgl. S. 32) auf Mariens 
Veranlassung im Sommer 1760 wieder in seine alte Stellung als 
Sousgouverneur zuruͤckkehrte, auf seiner Reise nach Kopenhagen zu sich 
kommen, um mit ihm uͤber die Erziehung der Prinzen zu sprechen; er 
schrieb an Keyserlingk und ebenso auch an seine Soͤhne selber. Aber 
Marie, die nichts mehr fuͤrchtete, als daß ihr Gemahl irgendwie Ein⸗ 
luß auf die Prinzen bekommen koͤnnte, wußte alle seine Absichten zu 
durchkreuzen. Sie schreckte dabei nicht zuruͤck, in ihren Briefen nach 
Kopenhagen den Landgrafen als eine erbaͤrmliche Soldatenpuppe, einen 
harakterlosen Spieler, Luͤderjan und Feigling darzustellen und ihn in 
seder Hinsicht veraͤchtlich und laͤcherlich zu machen, um auf diese Weise 
die etwa noch vorhandenen Reste kindlicher Liebe in den Soͤhnen zu er—⸗ 
sticken. Ja, sie ging so weit, daß sie an Wilhelm zu schreiben wagte: 
„Gott befreie uns von diesem gnaͤdigen Vater, denn wir haben wenig 
Ehre von ihm.“ 
Der Landgraf ließ Marien anbieten, ein Kapital, das 100000 fl. 
Zinsen truͤge, fuͤr sie in England zu deponieren. Das sollte zu ihrer und 
der Soͤhne Verfuͤgung stehen, wenn sie auf Hanau verzichtete. Sollten 
die Ertraͤge der Grafschaft hoͤher sein, so war er bereit, auch die Rente 
entsprechend zu erhoͤhen, nur die ungluͤckliche Zerreißung des Landes 
wollte er vermieden sehen. Aber der harte Kopf der Englaͤnderin 
vollte von all diesen Vorschlaͤgen nichts wissen. Marie konnte nicht 
verhindern, daß die Franzosen das Patent, womit sie den Antritt ihrer Vor⸗ 
mundschaftsregierung in Hanau ankuͤndigte, abrissen und unterdruͤckten, 
aber schlimmer noch als diese Franzosenherrschaft, die doch einmal mit 
dem Ende des Krieges voruͤbergehen mußte, war ihr der Gedanke, daß 
das Land dauernd in die Haͤnde ihres Mannes fallen und daß ihr Sohn 
abhaͤngig von ihm werden koͤnne. Mit einer gewissen Genugtuung er— 
lebte sie, daß Friedrich nach kurzem Aufenthalt in Cassel seine Resi— 
denz auch wieder verlassen mußte, die die Franzosen zum vierten Male 
besetzten. Landfluͤchtig wie seine Gemaͤhlin schlug der Landgraf seine 
Residenz in der Domprobstei zu Braunschweig auf, in nicht allzuweiter 
Entfernung von Marien, die ihm innerlich mehr entfremdet war als 
zuvor und jeden Klatsch, den man ihr uͤber sein Leben und Treiben 
zutrug, getreulich nach Kopenhagen weiter berichtete. 
Der Erbprinz Wilhelm stand natuͤrlich in all diesen Kaͤmpfen und 
Verwickelungen auf der Seite seiner Mutter, aber er war den Verhaͤlt—⸗
	        
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