16 Wilhelm VIII. im Exil Mariens Fuͤrstenideal
des Feindes. Wilhelm VIII. begab sich diesmal nach Bremen, von
wo er im Februar 1759 nach Rinteln uͤbersiedelte.
Es war ein truͤbseliges Verbannungsleben, das der alte, leidende
Fuͤrst mit seinem kleinen Hofe fuͤhrte, und mit galligem Humor schilderte
die Erbprinzessin ihrem Sohne die langweilige hoͤfische Umgebung, in
der zu leben sie gezwungen war als einziges weibliches Glied der fuͤrst⸗
lichen Familie außer der Prinzessin Charlotte, der Nichte des Land—
grafen, deren geistige Verfassung und hypochondrische Albernheiten ihre
Gesellschaft nicht anziehender zu machen vermochten. Marie litt schwer
unter den traurigen Verhaͤltnissen, die das enge Zusammenleben mit
dem kraͤnklichen, von der Not der Zeit und seinen wachsenden koͤrper⸗
lichen Leiden niedergedruͤckten und oft verstimmten Schwiegervater mit
sich brachten, der seinerseits, eifersuͤchtig auf seine Rechte, das oͤftere
Dreinreden der Erbprinzessin in die Regierungsgeschaͤfte unangenehm emp⸗
and. Ihre Gedanken weilten darum oft in Kopenhagen, wo die Hoff⸗
nung ihres Lebens und die Zukunft des hessischen Landes lebte. Ihr
Sohn sollte mal ganz ein Fuͤrst und Regent nach ihrem Herzen werden.
Keyserlingk hatte ihm auf ihr Befragen ein Zeugnis ausgestellt,
das dahin lautete: Le prince ainé a beaucoup de vivacité, il est
vrai: mais c'est une vivacité d'esprit, qui surtout quand il est
de bonne humeur tourne à son avantage et lui va parfaitement
bien. Il aime l'ordre et s'appliquera avec soins aux affaires.
Aber dieses ziemlich vage Urteil genuͤgte ihr nicht, und so arbeitete sie
unablaͤssig an seiner Charakterbildung in der Hoffnung, durch ihre
brieflichen Mahnungen aus der Ferne die direkte persoͤnliche Einwirkung
ersetzen zu koͤnnen. „Fuͤr was hat Gott Fuͤrsten geschaffen“, schrieb
sie ihm, „wenn nicht um Gerechtigkeit und Ordnung unter denen, die
ihm anvertraut sind, zu erhalten, und ist ein Fuͤrst nicht dazu da, ihr
Vater zu sein und ihnen alles Gute zu tun, was in seiner Macht liegt,
was nicht allein darin besteht, daß er ihnen kein Unrecht tut, sondern
daß er zum besten seiner Untertanen seine Eitelkeiten und Luͤste ein—
schraͤnkt. Denn ist nicht ein Fuͤrst, der ein fuͤhlendes Herz hat, gluͤck—
licher, wenn er sein Volk gluͤcklich, wohlhabend, ja selbst reich weiß,
als wenn er ein paar Pferde mehr oder eine reichere Tafel oder sonst
eine Eitelkeit mehr hat? Und kann irgend etwas grausamer sein, als
die ganzen Leiden eines Krieges auf das eine Volk fallen zu lassen,
waͤhrend derjenige, der an der Spitze steht und einen Vater vorstellt,
sich nicht das geringste darum abgehen laͤßt, sondern nicht nur jedes
Beduͤrfnis nach Behaglichkeit, sondern auch jede sonstige Eitelkeit erfuͤllt