Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Rendezvous in Kolding 17868. Wilhelm VIII. auf der Flucht 45 
ihr die Soͤhne auf halbem Wege entgegenkamen. Man waͤhlte Kol⸗— 
ding, und hier an der Kuͤste von Juͤtland, gegenuͤber von Fuͤnen, war 
es, wo Mutter und Kinder nach anderthalbjaͤhriger Trennung am 8. April 
1758 sich zum erstenmale wiedersahen. „Außer uns vor Freude“, er— 
zaͤhlt Wilhelm, „warfen wir uns zu Fuͤßen der Mutter, deren Zaͤrtlich— 
keit um so groͤßer war, als wir alle angesichts der weiten Entfernung 
noch nicht auf ein Wiedersehn gerechnet hatten. Wir wohnten in dem⸗ 
selben Hause, aßen zusammen wie in den gluͤcklichen Tagen unserer zarten 
Kindheit und hatten den ganzen Tag nur immer zu danken fuͤr die un— 
ablaͤssige Guͤte und Fuͤrsorge unserer lieben Mutter, die eine so beschwer— 
liche Reise nicht gescheut hatte, um uns wiederzusehen.“ Die Erbprin⸗ 
zessin war diesmal ohne ihre unzertrennliche Freundin gekommen, sie 
hatte Tinny Kemp (7 11. Maͤrz 1758) kurz vorher in Hamburg be— 
graben, nachdem sie erst vor wenigen Wochen Trauerkleidung um ihre 
Lieblingsschwester Caroline (f 28. Dez. 1757) angelegt hatte. Dafuͤr hatte 
sie ihre neue Hofdame Frl. v. Muͤllenheim und ihren Kammerherrn 
v. Verschuer bei sich, von denen die erste, die Nichte Keyserlingks, ebenso 
sehr die Sympathien der Prinzen gewann, wie Verschuers, des erklaͤrten 
Guͤnstlings der Erbprinzessin, Wesen und Auftreten ihnen mißfiel. Die 
gluͤckliche Zeit dauerte nicht lange. Am 14. reiste Marie wieder nach 
Hamburg. Um dem Abschiedsschmerz zu entgehn, brach sie in aller 
Fruͤhe auf, als die Prinzen noch schliefen. Als sie aufwachten, war die 
Mutter schon fort, und traurig fuhren sie am andern Tag nach Kopen⸗ 
hagen zuruͤck. 
Die Erbprinzessin hatte gute Nachrichten von den gluͤcklichen Fort⸗ 
schritten der verbuͤndeten Waffen unter dem Herzog Ferdinand v. Braun⸗ 
schweig mit nach Kolding nehmen koͤnnen. Den Franzosen war der 
Boden unter den Fuͤßen heiß geworden. Am Geburtstag des Land—⸗ 
grafen, am 22. Maͤrz, hatten sie Cassel geraaͤumt, und Wilhelm VIII. 
konnte daran denken, sein Hamburger Asyl wieder zu verlassen. Unter 
dem Jubel seines Volkes hielt der alte Fuͤrst mit seiner Schwieger⸗ 
tochter am 6. Mai wieder seinen feierlichen Einzug in Cassel. Nicht 
fuͤr lange. Schon am 17. Juli mußte der Greis sich zum zweiten 
Male auf die Flucht begeben und die Stadt seiner Vaͤter verlassen, 
die er als Lebender nicht wieder betreten sollte. Mit Stolz und Trauer 
vernahm Prinz Wilhelm aus den Briefen seiner Mutter, wie bei San⸗ 
dershausen (23. Juli) sich noch einmal ein kleines Hessenhaͤuflein den 
Franzosen entgegenstellte, aber nach tapferer Gegenwehr uͤberwaͤltigt 
wurde. Das Land war wieder einmal fuͤr lange Zeiten in den Haͤnden
	        
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