Wegener Millilaͤrischer und wissenschaftlicher Unterricht 35
und fand solche Freude daran, daß er auch spaͤter noch lange dieser
Liebhaberei huldigte und sich dann bei der Arbeit ein gutes Buch vor⸗
lesen ließ.
Ein Besuch im Kadettenkorps, wo man dem Unterricht mehrmals bei⸗
wohnte, vermittelte die Bekanntschaft mit dem Genieoffizier Wilhelm
Theodor Wegener)) aus Eutin, der den Prinzen dann Unterricht in
der Fortifikationslehre erteilte. Der Unterricht wurde nicht nur theoretisch,
sondern auch praktisch betrieben, wobei die Prinzen nach Wegeners An—
leitung im Garten ihres Palais eine kleine Redoute errichteten. Den
Hoͤhepunkt dieses mit dem groͤßten Eifer betriebenen Spieles erreichte
man, als am 7. Januar 1758 die Festung, die Prinz Carl als Gouver—
neur verteidigte, von Wilhelm in Gegenwart einer hochansehnlichen
Zuschauerschaft nach allen Regeln der Kunst belagert und zur Uebergabe
gezwungen wurde. Dabei wurden richtige Minen gelegt, Moͤrser auf—
gefahren und die Minen auch tatsaͤchlich gesprengt und aus den Moͤrsern
geschossen. Als die Festung in Truͤmmern lag, ergab sich der tapfere
Kommandant erst, nachdem man ihm einen ehrenvollen Abzug mit dem
Degen gewaͤhrt hatte.
Der eigentliche wissenschaftliche Unterricht lag bei Ledderhose in den
besten Haͤnden. Von den alten Sprachen wurde nur Latein, aber in
recht ausgedehntem Maße getrieben, und die beiden aͤltesten Prinzen
mußten eine ansehnliche Menge von klassischen Schriftstellern (Sallust,
Livius, Tacitus und die Dichter Vergil, Ovid und Horaz) lesen. Die
Geschichte des Cyrus diente ein ganzes Semester als Stoff zu lateinischen
Lxerzitien und zu gleicher Zeit als vorbildliches Beispiel eines weisen
und tugendhaften Prinzen. Im Anschluß an Tacitus' Germania be⸗
handelte Ledderhose sogar die Elemente der deutschen Mythologie. Den
natuͤrlichen Widerstand Wilhelms, der den Nutzen des ausgedehnten
Lateinstudiums fuͤr einen Prinzen nicht recht einsehn wollte, suchte die
Erbprinzessin, die wie bisher aus der Ferne den Unterricht sorgsam uͤber⸗
wachte, durch den Hinweis auf die alten hessischen Landgrafen zu uͤber⸗
winden. Gerade die ruhmreichsten seiner Vorfahren, Wilhelm IV. und
Wilhelm V. seien gute Lateiner gewesen, Moritz der Gelehrte habe die
Sache sogar etwas uͤbertrieben. Wie manche Frauen hatte Marie
inen ganz besonderen Respekt vor dem Latein, dessen Elemente sie selbst
sich mit großer Muͤhe angeeignet hatte, und meinte, der Tiefstand der
1) Nach der Heirat des Prinzen Carl mit der Prinzessin Luise trat Wegener fuͤr
einige Jahre an die Spitze der Hofverwaltung des Prinzen, der ihn wegen seiner Kennt⸗
nisse sehr schaͤzte. Er starb als Generalleutnant am 11. Mai 1792 zu Kopenhagen.