Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Der neue Gouverneur Keyserlingk 1757 33 
Bruder des von Friedrich d. Gr. unter dem Namen Cesarion angesungenen 
intimen Freundes dieses Koͤnigs, durch den der Landgraf auf ihn 
aufmerksam gemacht wurde. Keyserlingk (* 23. Juli 1699 zu Okten 
in Kurland) war 15 Jahre aͤlter als Wittorff. Er haͤtte von 1719 
bis 36 in hessischen, dann in russischen und kurlaͤndischen Diensten ge—⸗ 
standen, nach der Verbannung des Herzogs Biron von Kurland sich 
als Privatmann der Bewirtschaftung seiner ostpreußischen Guͤter gewidmet. 
Auf die Aufforderung des Landgrafen, der ihn noch von fruͤher her 
kannte, zeigte er sich sofort bereit und kam nach Cassel, brachte auch 
seine Nichte, ein Fraͤulein v. Muͤllenheim mit, die als Hofdame 
in den Dienst der Erbprinzessin trat und als lustiges und anmutiges 
„Heimchen“ bald deren Freundschaft und Liebe gewann. Auch von 
Keyserlingks Wesen und Auftreten war die Prinzessin eingenommen. 
Der kleine, sehr lebhafte Mann mit den hellen, durchdringenden Augen, 
der es wagte gegen die strenge Hofsitte der damaligen Zeit eine Perruͤcke 
zu verschmaͤhen, war so ziemlich in allem ein voͤlliger Gegensatz zu dem 
steifen, zeremoniellen Wittorff, und als er am 7. Mai in Kopen⸗ 
hagen eintraf, da waren die Prinzen bald mit dem Tausche wohl zu⸗ 
frieden, wenn sie auch Wittorffs Reitstunden, das beste, was er ihnen 
zeben konnte, jetzt entbehren mußten und in dem pedantischen daͤnischen 
Marstallsbereiter Schefer einen nur sehr unvollkommenen Ersatz fuͤr 
den Oberstallmeister erhielten. 
Trotzdem Keyserlingk voͤllig fremd auf dem Boden der daͤni⸗ 
schen Hauptstadt war und anfangs bei dem Koͤnige, der Wittorff schon 
von fruͤheren Besuchen her sehr schaͤtzte, eine ziemlich kuͤhle Aufnahme fand, 
so uͤberwand er doch schnell alle ihm gegenuͤberstehenden Schwierig⸗ 
keiten und hatte sich bald in sein neues Amt eingelebt. Wenn dem 
Gouverneur in seiner Dienstinstruktion nahegelegt wurde, vor allem die 
Freundschaft und das Vertrauen seiner Zoͤglinge zu erwerben, um Ein⸗ 
fluß auf ihren Charakter und die Bildung ihres Geistes und Herzens 
sowie auf die Entwickelung ihrer Neigungen und Faͤhigkeiten zu ge⸗ 
winnen, so gelang ihm dies in bester Weise, und selbst Wilhelm, 
der am schwierigsten zu behandeln war, wurde durch sein herzliches, 
liebenswuͤrdiges Wesen gefangen genommen. Mit seinem Dienstantritt 
kam sofort ein frischer Zug in das prinzliche Hauswesen. Der neue 
Gouverneur hatte weitgehendste Interessen fuͤr alle moͤglichen Dinge 
und verstand es, sie seinen Zoͤglingen mitzuteilen und dadurch Ab⸗ 
wechselung in ihr Leben zu bringen. Außer den gewohnten Spazier⸗ 
ritten wurden groͤßere Ausfluͤge in die Umgegend Kopenhagens gemacht 
Losch, Kurfuͤrst Wilhelm Jl.
	        
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