Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

372 Wilhelm J. als Mensch 
hren, Hessens tapfern Kriegern mit einem erhabenen Beispiel voranzugehn 
und sich des Stammes, aus welchem sie entsprossen, wuͤrdig zu zeigen.“ 
Kurhessen war gar nicht mehr in der Lage, eine halbwegs selbst⸗ 
kaͤndige Militaͤrpolitik zu betreiben, und wo es einmal darauf ankam, 
die hessische Kriegsmacht ernstlich einzusetzen, wie 1806, da geschah es 
nicht, und zwar teilweise aus dem Grunde, weil der Kurfuͤrst seine zum 
hoͤchsten Paradeglanz gebrachte Truppe viel zu sehr liebte, um sie Ge⸗ 
ahren auszusetzen. So versagte Wilhelm in der auswaͤrtigen Politik, 
vo ihn weder seine durchaus nicht immer wandellose „fermetèé“ noch 
zuch die seinen Nachfolgern empfohlene „Klugheit nicht unverruͤckten 
Planes in Verbindung mit andern Maͤchten“ vor Mißerfolgen schuͤtzen 
konnte. Einer der eifrigsten Bekaͤmpfer der Revolution, mußte er doch 
chließlich mit ihr paktieren und wurde zeitweise von ihr verschlungen. 
Darum haßte er sie und alles, was mit ihr zusammenhing, von ganzem 
Herzen bis an sein Ende und waͤre am liebsten noch einmal gegen sie 
zu Felde gezogen wie 1792. 
Der Mensch ist bei Wilhelm J. vom Fuͤrsten schwer zu trennen. Er 
zab sich selten rein menschlich, blieb in jeder Lebenslage Fuͤrst oder ver⸗ 
uchte es wenigstens zu bleiben. Selbst in seinen Beziehungen zum weib⸗ 
ichen Geschlechte, die man ihm so viel vorgeworfen hat. Es ist eine 
starke Übertreibung, wenn man ihn einen haltlosen Wuͤstling und Weiber⸗ 
aͤger genannt, ihm eine Legion von unehelichen Kindern angedichtet hat. 
Die Maͤtressenwirtschaft an Wilhelms Hofe war gewiß nicht so schlimm 
vie an vielen anderen Fuͤrstenhoͤfen; eigentlich kann man nur zur Zeit 
der Lindenthal von einer solchen reden. Das boͤse Beispiel, das er 
einer Familie gab, konnte freilich keine guten Folgen haben. Aber die 
reimuͤtige Art, wie er seine sittlichen Verfehlungen bekennt und die Reue, 
die er oft daruͤber bekundet, haben doch etwas Versoͤhnliches. Ebenso die 
Art, wie er seinem Sohne seine natuͤrlichen Geschwister empfiehlt „ces 
etres issus du sang de votre père, gages de ses faiblesses“, wobei 
er die Hoffnung ausspricht, daß sie dermaleinst ihrem Fuͤrsten und Vater⸗ 
land mehr als andere mit Treue und Eifer dienen wuͤrden. 
Wilhelms Reue uͤber seine Suͤnden gegen das siebte Gebot des 
hessischen Katechismus war um so staͤrker, als er im Grunde genommen 
eine aufrichtig religioͤse Natur war. In einer Umgebung starker In⸗ 
toleranz namentlich gegen die Katholiken aufgewachsen, hielt er auch 
spaͤter, als diese anerzogene Unduldsamkeit einer weitgehenden Toleranz 
gegen Andersglaͤubige gewichen war, fuͤr sich streng an den Lehren der 
reformierten Kirche fest, blieb bis an sein Ende ein fleißiger Bibelleser
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.