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Leichenfeier
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unbekannt gewesen. Der Kurfuͤrst besaß allein ihren Schluͤssel und stieg
oft zu ihr hinab. Man wußte nur, daß Hofbildhauer Christian Ruhl
um 1800 ein Rittergrabmal fuͤr die Kapelle in Marmor geschaffen
hatte. Jetzt wurde der Sarkophag und das Hochrelief, das den Emp⸗
fang des geharnischten, lorbeergeschmuͤckten Fuͤrsten im Elysium darstellt,
wo Großvater, Mutter und Sohn (die liebsten Toten, die er beweint hatte)
hm entgegeneilen, von den wenigen, die sie sehen durften, sehr bewundert ˖
Die Beisetzung in dieser Gruft fand am naͤchsten Tage, am Mitt⸗
woch, dem 14. Maͤrz, bei herrlichstem Fruͤhlingswetter statt nach einem
sorgsam ausgearbeiteten, 77 Nummern umfassenden Programm. Weit—⸗
her waren Buͤrger und Bauern aus der Umgegend zum Habichtswald
gestroͤmt, um an der Feier teilzunehmen. Kanonendonner vom Fuße
der Kaskaden bezeichnete den Augenblick, wo sich der Zug um 12 Uhr
mittags vom Schloß Wilhelmshoͤhe aus in Bewegung setzte. Den Vor—
trupp bildeten Leibdragoner und reitende Schuͤtzen, den achtspaͤnnigen
Leichenwagen eskortierten Gardes du Korps und Gardehusaren. Der
ganze „Leichenweg“ (er heißt bis auf den heutigen Tag so) am Fon⸗
taͤnenbassin und unter der Cestiuspyramide vorbei bis zur Loͤwenburg
war von der Infanterie besetzt, die mit dem Schuͤtzenkorps der Stadt
Fassel zusammen Spalier bildete. Unter dumpfen Trommelwirbeln und
Posaunenklaͤngen bewegte sich der riesige Zug langsam den Berg hinan
in musterhafter Ruhe und Ordnung der Tausende von Teilnehmern.
Jede Behoͤrde hatte aus sich einen Trauermarschall erwaͤhlt, der mit um⸗
flortem Stabe seiner Gruppe voranschritt. Die Gruppe der Museums—⸗
beamten fuͤhrte Wilhelm Grimm. Unter den Kroninsignien, die dem
Sarge vorausgetragen wurden, fiel das riesige Prunkschwert auf, das
Papst Innocenz VIII. im Jahre 1492 dem Landgrafen Wilhelm J.
nach seiner Palaͤstinafahrt verehrt hatte. Von der Zinne der von dem
Jaͤgerbataillon besetzten Loͤwenburg flatterte eine schwarze Fahne mit
dem hessischen Loͤwen, als die Spitze des Zuges mit dem Leichenwagen
vor der Zugbruͤcke eintraf, deren Fallgatter herabgelassen war. Ein
Ritter in schwarzer Ruͤstung (es war der Jagdjunker Louis von Esch⸗
wege)) ritt an den Burggraben heran, schlug an das Gaͤtter und
1) Man erzaͤhlt, daß er einer alten Sage zufolge, wonach jeder Trauerritter seinem
Fuͤrsten als Erster ins Grab folgen muͤsse, wenige Tage nach der Beisetzungsfeier ge⸗
iorben und sein Tod seinen fernen Angehoͤrigen in raͤtselhafter Weise vorher angekuͤndigt
sei. Abgesehn davon, daß die Figur dieses hessischen Trauerritters kaum traditionell
var, ist an der ganzen Geschichte nur soviel richtig, daß Louis v. Eschwege aller⸗
ings noch im Laufe des Jahres 1821 starb, aber erst vier Monate nach der kurfuͤrst⸗
ichen Leichenfeier am 11. Juli und zwar „nach neuntaͤgigem Krankenlager an einem
kosch, Kurfuͤrst Wilhelm J.