Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

3608 Tod des Kurfuͤrsten 1821 
24. Februar ihn ans Lager fesselte, von dem er nicht mehr aufstehen 
sollte. Weder er noch seine Umgebung ahnten etwas Schlimmes, wenn 
er auch in seinen letzten taͤglichen Aufzeichnungen uͤber schmerzvolle Naͤchte 
und schlechten Schlaf klagte. Er ließ sich die Zeitungen vorlesen, alterierte 
sich stark uͤber die Nachrichten aus Madrid und noch mehr daruͤber, daß 
angeblich in Cassel an mehrexen Orten Anschlaͤge mit dem Schlagwort 
der suͤdeuropaͤischen Revolutionaͤre: „Konstitution oder Tod!“ gefunden 
seien. In der Nacht zum 27. Februar verlangte er von dem bei ihm 
vachenden Silberdiener Lingemann Tee. Als dieser aber an sein Lager 
zuruͤckkehrte, war der Kurfuͤrst tot. Ein Herzschlag hatte um 5 Uhr 
norgens seinem Leben ein Ende gemacht. Seine letzten, im Halbschlaf 
gesprochenen Worte waren: „Diese Bataille werde ich verlieren.“ 
Vierzehn Tage spaͤter wurde er begraben. Nicht so wie er es ge—⸗ 
wuͤnscht und testamentarisch angeordnet hatte, „in aller Stille“, sondern 
mit großem Gepraͤnge, wie es dem neuen Herrn, jetzt Kurfuͤrst Wil— 
helm II., gefiel. 
Es gab ein Prunk⸗- und Schaustuͤck allexersten Ranges und ver— 
schlang mehr Geld, als der Tote bei Lebzeiten ein ganzes Jahr fuͤr sich 
und seinen Hof gebraucht hatte. Am 12. und 13. Maͤrz war die Leiche 
im Thronsaal der Bellevue auf dem Paradebett oͤffentlich ausgestellt. 
Die zahlreichen Besucher, die in kleinen Trupps an dem Katafalk vorbei⸗ 
zogen, fanden die Gesichtszuͤge des Toten stark veraͤndert, was haupt⸗ 
saͤchlich an der Entfernung der Backengeschwulst lag.) Den zweiten Akt 
der großen Schaustellung, die Tausende von Menschen heranzog, bildete 
die Überfuͤhrung der Leiche von der Bellevue nach der Wilhelmshoͤher 
Schloßkirche, die am 13. um Mitternacht bei Fackelschein stattfand. 
Die alten hessischen Landgrafen waren in der Elisabethenkirche zu 
Marburg, seit Philipp dem Großmuͤtigen zu St. Martin in Cassel bei⸗ 
gesetzt bis auf Wilhelm VIII. Der katholische Friedrich II. hatte zuerst 
die alte Tradition zerrissen, sein Sohn kehrte nicht zu ihr zuruͤck, so sehr 
er sonst am Alten hing. Seines Leichnams harrte die Gruft auf der 
Loͤwenburg, die er in seinem letzten Willen fuͤr sich bestimmte, wobei 
er zugleich zu ihrer Bewachung eine staͤndige Burgwehr von einem 
Unteroffizier und neun Invaliden der Gardes du Korps und Leib⸗Grena⸗ 
diergarde mit einer Pension von sechs bezw. vier Rthl. monatlich ein⸗ 
setzte. Die Gruft in der Burgkapelle war bis dahin den meisten ganz 
1) „Das Haupt gleicht einer Marmorbuͤste“ ()) meinte Haͤnlein. Nach Muͤller, Kassel 
seit 70 Jahren 1, 141 waren die Gesichtszuge durch eine Wachsmaske ersetzt.
	        
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