Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Die letzten Tage 
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haft an die von 1792. Das war das groͤßte Jahr seines Lebens ge⸗ 
vesen, und als die Nachricht kam, daß die Hsterreicher den Po uͤber⸗ 
chritten hatten, da fuͤhlte er sich wieder jung und aͤußerte den Wunsch, 
wie vor 28 Jahren mit ihnen gegen die „Rebellen“ zu ziehn und sie 
zu schlagen. Er schien ganz vergessen zu haben, daß damals eigentlich 
die Rebellen gesiegt hatten. Mit der zaudernden Politik des Troppauer 
Kongresses war er gar nicht einverstanden gewesen, Metternich machte 
hm viel zu viel Umstaͤnde mit den Revolutionaͤren. 
Neben den Tagesereignissen beschaͤftigte ihn grade in der letzten Zeit 
noch besonders die hessische Vergangenheit. Mehrmals empfing er den 
Marburger Professor Christoph Rommel und ließ sich von ihm uͤber 
den Stand seiner Arbeiten an der großen hessischen Geschichte vortragen, 
die er selber angeregt hatte und deren ersten Band er noch erlebte. 
Seine Lebensweise blieb bis an sein Ende die gewohnte. Bei jedem 
Wetter fuhr er taͤglich aus bis nach Zwehren, Kirchditmold, Sanders⸗ 
hausen oder sonst in die Umgebung, verbrachte fast taͤglich eine Stunde 
in seiner geliebten Wilhelmshoͤher Bibliothek, erschien regelmaͤßig zu den 
Kabinettssitzungen wie zur Parade und freute sich, wenn der juͤngste 
Premier⸗Kapitaͤn der Armee, sein Enkel Fried rich, „gut kommandierte“ 
oder ihm von seinen Geschichtsstunden bei dem Bibliothekar Grimm er⸗ 
zaͤhlte.) An dem gesellschaftlichen Leben des Hofes, das durch die 
Anwesenheit der Kinder des Landgrafen Friedrich in Cassel lebhafter 
wie gewoͤhnlich war, nahm er regen Anteil, sah oͤfters seine Kinder, 
Enkel und Verwandten bei sich und gab zu Ehren des Herzogspaars 
bon Cambridge am 21. Januar in der Bellevue einen großen Hofball, 
auf dem er drei Polonaͤsen mittanzte. Auch auf einem Ball der Graͤfin 
Hessenstein am 2. Februar fehlte er nicht, zog sich aber wie gewoͤhnlich 
fruͤh zuruͤck, um an andern Morgen frisch zu sein für die „vielen Ge⸗ 
schaͤfte“ und „besonders vielen Audienzen“, die sein Tagebuch verzeichnet. 
Am 19. Februar 1821 ließ er die irdischen Reste seiner Gemahlin 
in das fuͤr sie von Jussow erbaute dorische Mausoleum uͤberfuͤhren, acht 
Tage spaͤter war er selber tot. Er haͤtte sich bei den taͤglichen Aus⸗ 
fahrten einen Katarrh zugezogen, ihn aber wenig beachtet, und fuhr in 
seiner gewohnten Lebensweise fort, bis ein neuer Podagraanfall am 
1) „Der Unterricht von Grimm interessiert mich sehr; denn er hat einen sehr an⸗ 
genehmen und deutlichen Vortrag“ schrieb der Prinz an Suabedissen. Weniger zu⸗ 
frieden als der Schuͤler war der Lehrer. Wilheim Grimm schrieb daruͤber ebenfalls 
an Suabedissen: „Was meine Sltunden betrifft, so komme ich mir wie ein Alchbymist 
vor, der sein bißchen Vermögen in Rauch aufgehn laͤßt.“
	        
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