Tod der Kurfuͤrstin 1820 Der Schwammbacken 363
Stadt Cassel am 1. September 1814 mit gemischten Gefuͤhlen entgegen.
Als dann aber die Kurfuͤrstin, ohne eigentlich krank gewesen zu sein,
am 14. Januar 1820 an einem Schlaganfall starb, am selben Tage
wie die Landgraͤfin Marie vor 48 Jahren, da war Wilhelm doch tief
erschuͤttert. Er hatte der stillen Dulderin viel abzubitten und fuͤhlte die
Wahrheit der Worte, die ihm die Herzogin von Gotha damals schrieb:
Je sais que mon angélique wère etait pour Vous la plus vraye
Amie, elle l'a toujours prouvèé“. Den 14. Januar des naͤchsten
Jahres notierte er dann auch in seinem Kalender als den „trauervollen
Jahres⸗ und Exinnerungstag eines großen, schmerzlichen Verlustes.“
Er griff bei dieser Gelegenheit tief in seinen sonst so verschlossenen Beutel
und stiftete den Casseler Armen 250000 fl. zur Exinnerung an die
durch ihre stille Wohltaͤtigkeit bekannte Fuͤrstin.
Aufregende Szenen gab es bei der Beerdigung. Aus Versehen waren
drei Saͤrge bestellt, was natuͤrlich Stoff zu aberglaͤubischem Gerede gab.
Ganz unsinnig gebaͤrdete sich die Herzogin von Bernburg. Sie wollte
nicht glauben, daß die Mutter tot sei, alarmierte die Leibaͤrzte, behaup⸗
tete, die Kurfuͤrstin sei scheintot begraben worden, und verlangte stuͤrmisch
die Offnung des Grabes, das auf Wunsch Carolinens nicht in einer
Kirchengruft, sondern auf dem allgemeinen Casseler Totenhofe seinen
Platz gefunden hatte. Vor ihrer erzwungenen Abreise nach Wabern
fiel sie aus dem Übermaß ihrer kindlichen Trauer in ein anderes Extrem,
indem sie den Kurfuͤrsten bat, ihr eine zweite Mutter zu geben und
die Graͤfin Hessenstein zu heiraten! ein Gedanke, den der Kurfuͤrst
weit von sich wies und streng ablehnte. Doch durfte die Graͤfin fort⸗
an mit ihren Toͤchtern an der kurfuͤrstlichen Tafel teilnehmen.
Die Jahre waren an dem Kurfuͤrsten auch nicht spurlos voruͤber⸗
gegangen. Eine dicke Backengeschwulst, die man bei seiner Ruͤckkehr
1813 an ihm bemerkt hatte, hatte sein Aussehn nicht zu seinem Vorteil
peraͤndert. Sie datierte von einem Fall im Jahre 1809 bezw. einer
Gesichtsrose aus dem Jahre 1811 her und wurde im Laufe der Zeit
immer staͤrker und unfoͤrmlicher vom linken Ohr bis zum Halse reichend.)
An sich ungefaͤhrlich, entstellte der „Schwammbacken“ die sonst so regel—
maͤßigen Zuͤge des Fuͤrsten arg und gab Anlaß zu manchen despektier⸗
lichen Witzen und Spitznamen fuͤr den „Knotenkurfuͤrsten“. Abgesehn
1) Das Gewaͤchs, offenbar ein sog. Lipom, wog bei der Sektion nicht weniger
wie 2 Pfund 14 Loth. — Nach Weberns „Erinnerungen eines alten Offiziers“ soll die
Geschwulst durch den versehentlichen Tritt eines preußischen Hauptmanns v. Lieven bei
einer Infpektionsreise des Kurfuͤrsten in Westfalen entstanden sein.