Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

362 Karoline von Gotha Die Kurfuͤrstin 
schieden, die einst der Sonnenschein des Elternhauses gewesen war. Ihr 
GBemahl August Emil Leopold, den sie nach den Enttaͤuschungen ihrer 
Jugend spaͤt geheiratet hatte, war zwar ein etwas wunderlicher Heiliger, 
aber fuͤr seine Gemahlin von zaͤrtlicher Aufmerksamkeit, ließ nichts auf 
sie kommen und schrieb einmal an eine seiner Freundinnen: „Wenn Sie 
je etwas Wahres gesagt haben, so ist es, daß Sie Lina einen Engel 
nennen; denn sie ist wirklich ein Engel.“ In kluger Bescheidung wußte 
die Herzogin sich mit den Wunderlichkeiten ihres Gemahls und auch 
damit abzufinden, daß sein Herz ihr nicht ungeteilt gehoͤrte, selbst da, 
wo es ihr am schwersten wurde und wo sie absolut nicht mit ihm konnte, 
in seiner grenzenlosen Begeisterung fuͤr Napoleon, den sie als den Zer⸗ 
stoͤrer Deutschlands und den Raͤuber ihres Heimatlandes bitter haßte. 
Mit ganzer Seele hing sie an dem Lande ihrer Vaͤter, war gluͤcklich, 
ihrer Mutter in den sieben Jahren der Fremdherrschaft eine Zuflucht 
bieten zu koͤnnen, und war oft in Cassel, das sie als ihre eigentliche 
Heimat betrachtete. Am 17. Mai 1822 verlor die Herzogin Caroline 
ihren Mann, den sie noch 26 Jahre uͤberlebte. Sie starb am Tage des 
Ausbruchs der Februarrevolution, 22. Februar 1848, auf ihrem Witwen⸗ 
sitz zu Gotha. 
Ihre Mutter, die Kurfuͤrstin Karoline, hatte nach der Ruͤck⸗ 
kehr aus der Verbannung das ehemalige Philippsthalsche Palais in 
der Oberen Koͤnigsstraße bezogen, das Karl Du Ry einst fuͤr den Kauf⸗ 
mann Landré erbaut hatte. Hier lebte sie in ihrer gewohnten stillen 
Zuruͤckgezogenheit, mied die Hofzirkel und sah nur wenige Damen der 
Hofgesellschaft zu Strickkraͤnzchen bei sich. Man erblickte sie regelmaͤßig 
in ihrer Theaterloge und sah sie haͤufig mit ihren Lieblingshunden unter 
den Baͤumen des Friedrichsplatzes promenieren; sonst sah und hoͤrte man 
wenig von ihr. Mittwochs und Sonnabends pflegte der Kurfuͤrst zu 
ihr zu kommen, mit ihr zu speisen oder den Abend in ihrer Gesellschaft 
zuzubringen. Zwischendurch wechselten die Gatten oͤfters Briefe, die sich 
entweder mit dem Schicksal der Kinder beschaͤftigten oder Bittgesuche 
der Kurfuͤrstin fuͤr ihre Schutzbefohlenen zum Gegenstand hatten. Und 
wenn diese Bitten dem Kurfuͤrsten auch laͤstig waren, so konnte er ihnen 
doch oft nicht widerstehn. Er haͤtte seine Frau mit der Zeit mehr und 
mehr schaͤtzen gelernt, und ihr Einfluß vermochte manche Haͤrten seines 
Wesens zu mildern. Sein eigentliches Familienleben spielte sich aber 
nach wie vor im Hessensteinschen Hause (in derselben Koͤnigsstraße ein 
paar Haͤuser nach Wilhelmshoͤhe zu) ab. Deshalb verbat er sich auch 
jede Feier seiner goldenen Hochzeit und nahm den Gluͤckwunsch der
	        
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