Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

360 Friederike von Bernburg 
wollte, ihre liebe Not. Was der Großvater da zu hoͤren bekam, er⸗ 
innerte ihn oft an seine eigne Jugend. Er sah in dem Enkel die Fehler 
der eignen Kindheit wieder neu werden und versuchte sie mit ernster 
Mahnung zu bekaͤmpfen. Solange der Prinz in Leipzig war, stand er 
in ununterbrochenem Briefwechsel mit ihm, und wenn Prinz Friedrich 
nach Cassel kam, mußte er staͤndig um ihn sein. Und der Prinz, durch 
die Mutter dem Vater entfremdet, erwiderte diese Zuneigung des Groß⸗ 
vaters, der fuͤr ihn bis an sein Lebensende der Gegenstand groͤßter 
Pietaͤt und das Ideal fuͤrstlicher Autoxitaͤt geblieben ist. So wieder⸗ 
holte sich in dem Schicksal des letzten hessischen Kurfuͤrsten schon in 
seiner Jugend das seines Großvaters, eine Analogie, die bis zu seiner 
Entthronung waͤhrte, ihn bis nach Prag fuͤhrte und ihn dort sterben 
— — 
seiner Vaͤter wiederzusehn, sich nicht erfuͤllte. 
Die Herzogin Friederike von Bernburg war das zweite Sorgen⸗ 
kind des Kurfuͤrsten. Mit ihrem Bruder Wilhelm haͤtte sie viel gemein, 
weshalb sie ihn so gut zu beurteilen wußte. Auch ihre Ehe war nicht 
gluͤcklich. Von ihrem Gemahl vernachlaͤssigt, gab sie sich ganz einer 
schwaͤrmerischen Freundschaft zu ihrer Hofdame Wilhelmine v. Buttlar 
hin, und als diese 1810 starb, verfiel sie in eine schwere Hypochondrie. 
In Ballenstedt, wo der Herzog sie, die an frische Luft gewoͤhnt war, 
dazu verurteilte, selbst im Sommer hinter geschlossenen Fenstern zu sitzen, 
hielt sie es nicht mehr aus. Als „Baronin Burg“ begann sie ein un⸗ 
ruhiges Wanderleben, trieb allen moͤglichen Sport, ritt viel, machte große 
Fußtouren, besuchte Baͤder, ging nach der Schweiz, kletterte als eine der 
ersten fuͤrstlichen Alpinistinnen am Mont Blanc herum und brach am 
12. August 1810 richtig auf dem Mer de glace bei Chamounirx ein Bein. 
Monatelang lag sie in Genf, bis sie wiederhergestellt war. Mehrmals 
versoͤhnte sie sich wieder mit dem Herzog und lebte eine Zeit lang mit 
ihm en bon menage, bis sie wieder mit einer in der Schweiz ge— 
wonnenen neuen Freundin, Jenny Faizan, die der Kurfuͤrst adeln sollte, 
auf die Wanderschaft ging. Waͤhrend der Freiheitskriege verfiel sie auf 
einmal in einen Rausch patriotischer Begeisterung und wollte die Rolle 
einer deutschen Jungfrau von Orleans spielen. Als dieser Rausch ver—⸗ 
flogen war, ging sie wieder auf Reisen, war alle Augenblicke in Cassel, 
lag ihrem Vater auf der Tasche und fiel ihm durch ihr exaltiertes Wesen 
auf die Nerven. Im Herbst 1816 ging sie unter dem Vorwand einer 
Traubenkur nach Italien, durchstreifte den ganzen „italienischen Stiefel“ 
und bemuͤhte sich vergebens, den zaͤrtlich geliebten Vater ebenfalls zur
	        
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