Kurprinz Wilbelm Prinz Friedrich 359
Befehl des Kurfuͤrsten der Atmosphaͤre des elterlichen Kriegsschauplatzes
entzogen werden sollte. Der Kurprinz geriet nun ganz unter den Einfluß der
schoͤnen Goldschmiedstochter Emilie Or tloͤpp,)) die er in Berlin kennen
gelernt und mit nach Cassel genommen hatte. Sie allein verstand ibn
zu behandeln, seine Fehler und Schwaͤchen zu tragen und ihn durch
ihre hingebende Liebe immer wieder und fester an sich zu fesseln, sodaß
er zuletzt wie weiches Wachs in ihren Haͤnden wurde. Der Prinz war
eine ungluͤckliche Natur, an dessen Charakterentwicklung eine falsche Er—
ziehung, das Beispiel des Elternhauses und nicht zuletzt die vexkehrte Be—
handlung durch seinen Vater viel Schuld hatten. „Mit hessischem Freimuth“
suchte die Herzogin von Bernburg dem Kurfuͤrsten zu erklaͤren, wie es
so weit mit ihrem Bruder gekommen sei: sie habe ihn genau beobachtet
und mit Freuden gesehn, wie die Taͤtigkeit der Jahre 1818 und 1814
so guͤnstig auf ihn wirkte. Erst seit der Ruͤckkehr aus Frankreich, als
ihm der Oberbefehl abgenommen wurde, fing seine Conduite wieder an,
bizarr zu werden. Er habe sich oft bei ihr beklagt und gesagt: „Ich
habe ja gar nichts hier zu tun, bin ganz untaͤtig“. Die Ernennung
des Generals Engelhardt (S. 335) mußte ihn vollends kraͤnken und vor
den Kopf stoßen.
Trotz dieser sehr verstaͤndigen Darlegungen ließ sich der Kurfuͤrst
nicht bewegen, seinem Sohne eine angemessene Beschaͤftigung in der Re—
gierung, Verwaltung oder beim Militaͤr zu geben. Er nahm ihn wohl
auf seinen Reisen mit, ließ ihn hier und da etwas repraͤsentieren, ließ
sich aber sonst nicht davon abbringen, que les successeurs aujour-
d'hui ne peuvent sans risque être admis aux administrations ne
sachants pas obéir. So blieb alles beim alten, und noch kurz vor
seinem Ende wußte der alte Starrkopf seinen Ministern, die ihn draͤngten,
dem Prinzen doch einen Anteil an den Regierungsgeschaͤften zu gewaͤhren,
aichts anderes zu erwidern, als „Will man denn, daß ich mich taͤglich
uͤber den Kurprinzen aͤrgern soll?“
Was er so an dem Sohne suͤndigte, suchte er in gewisser Weise an
dem Enkel wieder gut zu machen. Den Prinzen Friedrich liebte
er zaͤrtlich und seine Entwicklung und Erziehung uͤberwachte er mit der
groͤßten Aufmerksamkeit. Der junge Fritz, „die suͤße Hoffnung spaͤterer
Geschlechter des Landes“, wie die Casseler Zeitung ihn nannte, war kein
leicht zu behandelnder Zoͤgling, und seine Erzieher hatten mit dem eigen—
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1) Die spaͤtere Graͤfin Reichenbach, *1791 zu Berlin, 7 1843 zu Frankfurt
als zweite Gemahlin Kurfuͤrst Wilhelms II.