Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Kurprinz und Kurprinzessin 
der Zeit des Befreiungskampfes, der beide in patriotischem Eifer einte 
(S. 319) und durch die raͤumliche Trennung die Reibungsflaͤchen minderte. 
Als nach der Ruͤckkehr des Kurprinzen aus Frankreich beide wieder in 
Cassel zusammenlebten (der Kurfuͤrst wollte seinen Sohn unter den Augen 
behalten und nicht in Hanau residieren lassen), da brach der Konflikt 
zwischen den ungleichen Naturen auch wieder aus. Auguste konnte 
sehr liebenswuͤrdig sein, wenn sie wollte, und Kuͤnstler und Literaten, 
mit denen sie verkehrte, schwaͤrmten direkt fuͤr sie, wie die Grimms und 
Bettina Arnim. „Wohin Du trittst, wird uns verklaͤrte Stunde“ meinte 
Goethe, der die „hohe Reisende“ im Jahre 1808 in Carlsbad traf und 
sie in reichlich servilen Versen zu Zeichnungen ihres Lehrers Bury an⸗ 
sang. Dafuͤr war sie sehr empfaͤnglich, daneben aber auch launisch und 
von genialer Unpuͤnktlichkeit. Das aͤrgerte ihren Gatten, und daß sie 
ihn, der nur uͤber eine sehr oberflaͤchliche Bildung verfuͤgte, ihre geistige 
Überlegenheit bei jeder Gelegenheit fuͤhlen ließ, reizte den jaͤhzornigen 
Prinzen zuweilen zu maßloser Wut. Am 22. August 1815 kam es 
zwischen beiden zu einem so heftigen Zusammenstoß, daß die Kurprinzessin 
nach Wilhelmshoͤhe eilte, um Schutz gegen die taͤtlichen Mißhandlungen 
ihres Mannes bei dem Schwiegervater zu suchen. Mit gezogenem Degen 
war der Kurprinz auf seine Gemahlin losgegangen, und nur das Da⸗ 
zwischentreten seines Adjutanten v. Bothmer,) der ihm die Waffe 
entriß, hatte Schlimmeres verhuͤtet. Bothmer mußte freilich seinen Ab⸗ 
schied nehmen aber noch vorher seinem Herrn einen Befehl des Kur— 
fürsten uͤberbringen, der den Kurprinzen sofort nach Riede verbannte, 
den schoͤnen Landsitz der 1810 ausgestorbenen Famile Meysenbug, den 
der Kurfuͤrst erst eben seinem Sohne zum Geburtstag geschenkt hatte. 
Wieder wurde der Plan einer Scheidung erwogen, womit der Kurprinz 
gern einverstanden war, und Haͤnlein, der preußische Gesandte, und der 
Minister v. Schmerfeld trafen ein Arrangement, das einer Scheidung 
bon Tisch und Bett ziemlich gleichkam, aber der Offentlichkeit nicht be— 
kannt gegeben wurde. Auf die vereinten Bitten von Mutter und Schwestern 
durfte der Kurprinz am 27. September seinen Verbannungsort 2 wieder 
verlassen und kurz darauf seinen Sohn nach Leipzig bringen, der auf 
1) Joseph Anton v. Bothmer war Hauptmann im westfaͤlischen Jaͤger⸗Karabinier⸗ 
bataillon und ein Mitverschworener Doͤrnbergs gewesen. Seit 1818 Major und Adju⸗ 
tant des Kurprinzen trat er nach seiner Entlassung in vreußische Dienste und starb 
am 24. April 1820 zu Erfurt. 
2) Riede war ihm seitdem so verleidet, daß er den wertvollen Besitz damals fuͤr 
ein Spottgeld von 4000 Talern verschleudern wollle. Zehn Jahre spaͤter kaufte es der 
Kammerberr v. Buttlar fuͤr 34000 Taler.
	        
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