356 Kattenburg Landgraf Friedrich in Cassel
Der Kurfuͤrst war fast taͤglich beim Bau des Schlosses, das den
stolzen, aber etwas deplacierten Namen der Kattenburg tragen sollte,
um seine Fortschritte zu beobachten. Dagegen fiel es allgemein auf, daß
der Kurprinz sich nie sehen ließ und dem großen Werk, das zu vollenden
nach menschlichem Ermessen er doch berufen schien, gar kein Interesse
entgegenbrachte. Das zeigte sich auch bei der Grundsteinlegung, die
mehrfach verschoben, am 29. Juni 1820 endlich stattfand. Pauken und
Trompeten verkuͤndeten die Ankunft des Bauherrn, vor dem schon die
ganze kurfuͤrstliche Familie und eine illustre Gesellschaft von Gaͤsten mit
den Spitzen der Behoͤrden am Bauplatz eingetroffen war. Nach einer
Rede des Ministers v. Schmerfeld vollzogen der Kurfuͤrst, sein Sohn
und sein Bruder Friedrich die Grundsteinlegung. Der Oberhosprediger
Rommel rief den Segen des Himmels auf den werdenden Bau herab,
der „zur Verherrlichung Gottes und zur Befoͤrderung seines Reiches auf
Erden“ dienen sollte, und der oͤsterreichische Gesandte v. Wacquant Geo⸗
zelles pries den Genius Wilhelms, der einst den schoͤnen Beinamen „des
Schoͤpferischen“ von der Nachwelt empfangen werde. Mit einem boͤsen
Mißklang endete die Feier. Bei der Abfahrt vom Festplatz hatte der
Kurprinz, wie schon oͤfters, einen heftigen Rangstreit mit seinem Oheim,
dem Landgrafen Friedrich, den beinahe die beiderseitigen Kutscher mit
ihren Peitschen ausgetragen haͤtten. Es mag sein, daß die Abneigung
des Kurprinzen gegen den Bau durch seinen Arger uüͤber angebliche Zu⸗
ruͤcksetzung bei der Grundsteinlegung neue Nahrung erhielt. Jedenfalls
ließ er bald nach seinem Regierungsantritt das große Werk zu einer
Ruine werden.
Landgraf Friedrich hatte nicht lange nach der Ruͤckkehr des
Kurfuͤrsten seinen Wohnsitz von Frankfurt bezw. Rumpenheim nach Cassel
berlegt, wo er in der oberen Koͤnigsstraße das unter Jerome erbaute
Haus des Maurermeisters Chr. Schoͤn erworben hatte. Der Landgraf
hatte drei heiratsfaͤhige Toͤchter, die den Casseler Hof dieser Zeit zu
einem Anziehungspunkt fuͤr heiratslustige Prinzen machten, wie auch die
beiden Toͤchter des Kurprinzen trotz ihres jugendlichen Alters bereits
anfingen Bewerber anzulocken. »Les princessses de Hesse sont bien
recherchéese, schrieb damals die Herzogin von Gotha ihrem Vater, nicht
ohne bitteren Beigeschmack ihrer eignen Jungmaͤdchenzeit gedenkend. So
brachte die Anwesenheit der landgraͤflichen Famile etwas mehr Leben
an den sonst so stillen Hof Wilhelms J. dessen Eintoͤnigkeit durch mehrere
große Familienfeste unterbrochen wurde. Zuerst heiratete die zweitjuͤngste
Tochter des Landgrafen, Prinzessin Marie, am 12. August 1817 den