352 Stimmung im Lande Universitaͤt
Blaͤttern weidlich ausgeschlachtet, und doch war das, was sie uͤber die
Unzufriedenheit des hessischen Volkes mit des Kurfuͤrsten selbstherrlichem
Regiment brachten, jedenfalls sehr uͤbertrieben. „Hier geht es im Ganzen
biel besser, als es im Auslande und in den Zeitungen aussieht“, schrieb
Wilhelm Grimm 1817 an Arnim. Unzufriedenheit herrschte ja in ganz
Deutschland, wo nach den hochgespannten Hoffnungen der Befreiungs⸗
zeit unter dem Druck materieller Not und der uͤberall herrschenden
Reaktion ein weitgehendes Gefuͤhl der Exnuͤchterung Platz gegriffen
hatte, die u. a. in der damals einsetzenden Auswanderungslust ihren
Ausdruck fand. In einzelnen Gegenden wollte man eine gewitter⸗
drohende Stimmung wie vor dem Bauernkrieg bemerken, besonders im Wuͤrz⸗
zurgischen, wo die gefuͤrchteten Poeschlianer, die Bolschewisten der da⸗
naligen Zeit, zahlreiche Anhaͤnger hatten. Aber ihre Bewegung machte
an der hessischen Grenze halt, und der preußische Gesandte, der im Sinne
seiner reaktionaͤren Regierung den Kurfuͤrsten gegen die Demagogen
scharf zu machen suchte, mußte zugeben, daß in Kurhessen alles ruhig
sei, „wie uͤberhaupt demagogische Grundsaͤtze in hiesigen Landen wenig
Eingang finden wuͤrden, indem der Hesse, und ganz besonders der Land⸗
mann, zu sehr an blinden Gehorsam gewoͤhnt ist“.
Auch in der kurhessischen Landesuniversitaͤt Marburg blieb alles
ruhig, als es an anderen Hochschulen in den Kreisen der akademischen
Jugend zu gaͤren begann. Die Studenten schimpften auf das Rauch—
und Fechtverbot und andere zeitgemaͤße Einschraͤnkungen der akademischen
Freiheit, mußten aber anerkennen, daß der Kurfuͤrst ihre Partei ergriff,
als bei dem Reformationsfest ein Prinz Solms und mehrere Grafen
den Vortritt im Festzug sich angemaßt hatten. Selbst der Universitaͤts
ommissar, Regierungsrat Hein, „der in ganz Kurhessen die Schatten⸗
bilder der Demagogen schleichen sah“), konnte mit dem besten Willen
keine Spuren von verbrecherischen Verbindungen im Lande entdecken.
Als nach Kotzebues Ermordung die Einsetzung der Mainzer Zentral⸗
untersuchungskommission in Hessen veroͤffentlicht werden mußte, da konnte
Kurfuͤrst Wilhelm „seinen getreuen Untertanen“ vor aller Welt das
Zeugnis ausstellen, „daß er bisher die gegruͤndetste Ursache hatte, mit
dem guten Geiste, den gehorsamen und ruhigen Gesinnungen seiner
Hessen zufrieden zu sein, und stolz darauf sei, von der Vorsehung zur
Regierung über ein Volk berufen zu sein, welches von jeher durch Treue,
1) Derselbe erschoß sich merkwuͤrdigerweise 20 Jahre spaͤter, am 11. Juni 1839,
ingeblich „um einer Untersuchung wegen demagoaischer Umtriebe zu entgebn“. (E.
Müuller, Aus trüber Zeit 1,87.