Politisches Leben Zensur
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liche Meinung oder ein politisches Leben. Der Kurfuͤrst hatte in seiner
langen Regierung dafuͤr gesorgt, daß so etwas nicht aufkommen konnte,
und er blieb auch jetzt noch bei dieser alten, seiner Meinung nach wohl⸗
erprobten, prophylaktischen Methode. Wie die Casseler Zeitung zur Zeit
der franzoͤsischen Revolution nichts uͤber die Pariser Unruhen bringen
durfte, so blieb es im großen und ganzen auch noch jetzt. Es war ja
genug, daß der besorgte Landesvater selbst alle politischen Zeitstroͤmungen
aufmerksam verfolgte, alles las, was ihm daruͤber vor die Augen kam,
und sich von Gottschedt und Rivalier!) aus den auslaͤndischen Zeitungen
berichten ließ; die Untertanen brauchten damit nicht beunruhigt zu werden.
Die Zensur wurde streng gehandhabt, doch hatte die damit beauftragte
Kommission nicht allzuviel zu tun, da Hessen „viel weniger innere lite⸗
rarische Regsamkeit hat, als die meisten uͤbrigen deutschen Laͤnder, was
ihm halb zum Lobe gereicht“, wie Jakob Grimm, das bedeutendste Mitglied
der Kommission bemerkte. Ein anderes Mitglied, der Jurist Burk. Wilh.
Pfeiffer wagte sogar uͤber „die Rechtsverbindlichkeit der Regierungs⸗
handlungen eines Zwischenherrschers fuͤr den rechtmaͤßigen Regenten“ ein
Buch zu schreiben, ließ es aber der Vorsicht halber in Hannover erscheinen.
Das war jedoch dem Kurfuͤrsten zu viel. Der pedantische Vizekanzler Robert
in Marburg mußte zwei furchtbar geschraubte Gegenschriften verfassen,
und Pfeiffer ging vor der Ungnade des Kurfuͤrsten fuͤr ein Jahr nach Luͤbeck.
Die wenigen Casseler und Hanauer Zeitungen (andere kamen uͤber⸗
haupt nicht in Betracht) wurden von der Polizei zensiert, die so leicht
nichts Verfaͤngliches durchgehen ließ. Auf die auswaͤrtige Presse hatte
man natuͤrlich keinen Einfluß. Die druckte daher froͤhlich und unent⸗
wegt alle moͤglichen Zopf⸗ und Ekelgeschichten aus Kurhessen, ohne es
mit der Wahrheit allzu genau zu nehmen, verbreitete u. a. die Nachricht,
der Kurfuͤrst litte an der Maulsperre, und aͤrgerte damit den alten
Herrn, der seinen Groll an denen ausließ, die in dem Verdacht standen,
hinter solchen anstoͤßigen Artikeln zu stehen, zumal wenn sie gar noch
franzoͤsisch⸗westfaͤlischer Sympathien verdaͤchtig waren. So ging es z. B.
einem Herrn v. Baumbach⸗-Freudenthal, ehemaligen franzoͤsischen
Postdirektor, der 1819 als Gymnasiallehrer mit kaͤrglichem Gehalt nach
Rinteln verbannt und von der Polizei aufs peinlichste uͤberwacht wurde,
weil er „laͤngst als Raͤsonneur und Verfasser vieler in den Zeitungen
gegen Kurhessen erschienener anstoͤßiger Artikel bekannt war“ (Haͤnlein).
Solche und aͤhnliche Faͤlle wurden natuͤrlich von den auswaͤrtigen
1) Kriegsrat Carl Rivalier (1170 1847), seit 1818 Geh. Kabinetsrat. Er war
der Vater der „Idealistin“ Malwida von Meysenbug.