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Westfaͤlische Domaͤnenkaͤufer
marschsteuer kam es in einzelnen Ämtern zu lauter Unzufriedenheit. „Die
Franzosenzeiten waren schlimm, aber die jetzigen sind, wenn man alles
Beben zusammenrechnet, noch schlimmer“, klagten die Diemelbauern in
einer Eingabe an die Landstaͤnde, die viel Aufsehn erregte. Man ver—⸗
gaß, daß die Zustaͤnde, uͤber die man sich beschwerte, im wesentlichen
eine Folge der langen Kriegszeit waren, und schob vieles nur auf die
eigenmaͤchtige Restaurationspolitik des Kurfuͤrsten und seine schlechten
Ratgeber, von denen man munkelte, daß sie sich auf Kosten des Landes
bereicherten. Der verhaßteste unter ihnen war Buderus, der allgemein
als der boͤse Geist des Kurfuͤrsten galt. Um ihn dem Casseler Volks⸗
haß zu entziehn, wurde er Ende 1815 nach Hanau versetzt und zum
Bundestagsgesandten ernannt. Dort sollte er u. a. die kurfuͤrstliche Re—
gierung gegen die Anklagen der westfaͤlischen Domaͤnenkaͤufer vertreten,
die durch einen Federstrich ihre Rechte und Spekulationsgewinne ver—
loren hatten. Wilhelms rigoroses Vorgehn setzte viel boͤses Blut, und
die Domaͤnenkaͤufer begannen unter Fuͤhrung des ehemaligen Moniteur⸗
redakteus Murhard) und eines Dr. Schreiber?) eine sehr ge—
schickte literarische Agitation gegen ihn, die sein Renomméée empfindlich
schaͤdigte. Da Buderus in diesem diplomatisch-juristischen Kampfe ver⸗
sagte, wurde er im Maͤrz 1817 von seinem Frankfurter Posten abberufen
und durch Lepel ersetzt, der dann auch den damals entbrannten Kampf
in der Militaͤrfrage auszufechten haͤtte.
Als Glied des Deutschen Bundes brauchte und konnte Kurhessen nicht
mehr so viel Truppen unterhalten wie zur Zeit der Subsidienvertraͤge,
und ganze Regimenter und militaͤrische Formationen verschwanden fuͤr
immer auch dem Militaͤretat,“) der nicht mehr auf die reichen Zuschüuͤsse
1) Dr. Friedrich Murhard (1779-1853), der spaͤtere Mitstifter der Kasseler
Murhardbibliothek, war ein alter politischer Gegner des Kurfuͤrsten und haͤtte als
staatsgefaͤhrlicher Raͤsonneur schon 18060 im Kastell gesessen. Nach der Restauration
lebte er zu Frankfurt als liberaler Politiker und staatsrechtlicher Publizist.
2) Schreiber hatte 1812 Freienhagen gekauft, und die Verschleuderung dieses
„Freudenortes seiner Jugend“ war dem Kurfuͤrsten besonders anstoͤßig. Er erkannte
den Verkauf nicht an und gab Freienhagen einem Bruder Schreibers in Erbpacht. Der
nun entstehende Zwist zwischen den beiden Bruͤdern bildete den Auftakt zu dem langen
Rechtsstreit, der erst mit Schreibers Tod (1850) endguͤltig erlosch. Uebrigens erhielten
die meisten Domaͤnenkaͤufer die Guͤter mit der Zeit in Erbleihe, blieben also im fak—
ischen Besitz derselben. Nur die Auslaͤnder und einige Hauptopponenten, wie Schreiber,
Murhard und Malsburg, die jeden Vergleich ablehnten, außerdem als Anbaͤnger der
westfaͤlischen Herrschaft galten, gingen leer aus.
3) Das Staatshandbuch von 1806 verzeichnete noch 8 Regimenter Infanterie,
2 Bataillone Artillerie, 3 leichte Bataillone, 6 Garnisonregimenter, 14 Landregimenter
und Stadtbataillone, 6 Kavallerieregimenter. 1817 waren es nur noch: 6 Infanterie⸗
cegimenter, 1 Artillerieregiment, 1 Jaͤgerbataillon und 3 Kavallerieregimenter außer
den paar Gardes du Korps und Gardehusaren. Dazu kam noch das Landdragonerkorps
und die Casseler Stadtschuͤten.