Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Die kurhessischen Zoͤpfe 
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Da die Natur der kurfuͤrstlichen Ordre nicht uͤberall durch uͤppiges Wachs— 
um der Haare entgegenkam, so behalf man sich vielfach mit falschen, 
sog. Patentzoͤpfen, wie das schon vor 1807 auch bei den juͤngeren preu⸗ 
zischen Offizieren uͤblich gewesen war. Es entbehrte nicht einer gewissen 
Komik, daß, wie Eingeweihte wissen wollten, auch die Nackenzier Sere⸗ 
nissimi Electoris nicht ganz echt war!). In den folgenden Jahren 
verlautete mehrfach, daß der Kurfuͤrst die Zoͤpfe wieder abschaffen wolle. 
Als aber die jungen Offiziere ihre Haare immer modischer gelockt und 
das Zoͤpfchen beim Dienst nur lose umgebunden oder am Uniformkragen 
angesteckt trugen, wo es in komischer Steifheit hing, ohne den Bewegungen 
des Kopfes folgen zu koͤnnen, da witterte der alte Herr doch wieder den 
boͤsen Geist der Revolution und erließ strenge Befehle gegen die Mode⸗ 
helden. So dauerte die Renaissancezeit des hessischen Zopfes doch volle sieben 
Jahre und endete erst am Tage nach Wilhelms Beisetzung auf der Loͤwenburg. 
Im Grunde genommen eine ziemlich unschuldige Schrulle schaͤdigte 
diese Zopfliebhaberei das Renommée des Kurfuͤrsten mehr als manche 
andere viel anfechtbarere Maßregel seiner selbstherrlichen Regierung. Die 
auswaͤrtige Presse mokierte sich nach Noten daruͤber; man erzaͤhlte sich 
zutglaͤubig die fabelhaftesten Geschichten von den kurfuͤrstlichen Ratten⸗ 
schwaͤnzen, die sogar ihren Niederschlag in der deutschen Literatur fanden; 
kurz, das Thema wurde, wie Wilhelm Grimm aͤrgerlich schrieb, „bis 
zum Ekel abgenutzt.“ Der Kurfuͤrst nahm das alles mit merkwuͤrdigem 
Bleichmut hin, und als die Goͤttinger Studenten nach Cassel kamen, um 
die historischen Zoͤpfe zu sehn und zu verulken, da ließ er sie ruhig ge⸗ 
waͤhren. „Laßt sie nur“, sagte er zu dem Polizeidirektor Manger, „sie 
bringen Geld unter die Leute.“ Selbst die Verbrennung des hessischen 
Zopfes in effigie beim Wartburgfest von 1817 konnte ihn nicht weiter 
alterieren, wenn er auch das Fest selbst „wenig erbaulich“ fand. 
Bei der Ruͤckkehr des Kurfuͤrsten 18138 schrieb Wilhelm Grimm: 
Mir schien in diesem Augenblicke, als koͤnne keine Hoffnung auf die 
Zukunft unerfuͤllt bleiben.“ Das war eine damals weitverbreitete An⸗ 
schauung in Hessen. Die Enttaͤuschung bei so großen Erwartungen 
konnte nicht ausbleiben. Die Franzosen war man los, aber die Rech— 
nung ihrer Wirtschaft war noch zu bezahlen. Und diese Rechnung war 
sehr groß. Dazu kamen die Kriegslasten, die das Land als Durch⸗ 
marschgebiet doppelt empfand. Bei der Einziehung einer Truppendurch⸗ 
1) Der Hanauer Mineraloge Leonhard uͤberraschte im Dezember 1813 den Kur— 
kuͤrsten einmal im Negligé ohne Zopf zu dessen großer Verlegenbheit. Leonhard, Aus 
unserer Zeit 1, 387.
	        
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