Titelfrage Laͤnderschacher
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Wien, Ende 1814, aufgetaucht und eroͤrtert worden. Am liebsten waͤre
er ja Koͤnig geworden, Koͤnig uͤber ganz Hessen. Dazu schien aber da⸗
mals keine Aussicht zu sein. Eine Zeitlang dachte er daran, den Titel
eines Erzherzogs anzunehmen, ließ aber den Gedanken wieder fallen, der
auch kaum die Zustimmung des Hauses Oesterreich gefunden haben wuͤrde.
So behielt er den alten historischen Titel bei, und seine Gemahlin meinte:
der sei doch auch viel ehrenvoller als die neuen Rangbezeichnungen der
Rheinbundsfuürsten. Um jedoch hinter diesen nicht zuruͤckzustehn, nahm
Wilhelm mit Berufung auf die Goldne Bulle, die den Kurfuͤrsten koͤnig—
liche Rechte zusprach, am 3. Mai 1815 das Praͤdikat,Koͤnigliche Hoheit“
an und ließ sich „Allerdurchlauchtigster“ titulieren, ebenso wie er den Zu—
atz „souveraͤner Landgraf von Hessen“ in seine Titulatur aufnahm. Und
um den Rheinbundsfuͤrsten zu zeigen, daß der Kurfuͤrstentitel mehr wert
sei, als der großherzogliche, nahm er auch diesen als Nebentitel fuͤr sich
in Anspruch, als die Erwerbung von Fulda ihm dazu Gelegenheit bot.
Diese Erwerbung war eine Folge des ausgedehnten Laͤnderschachers,
der unter der Firma der sog. Entschaͤdigungen nach dem Ende des Be—
freiungskrieges begann und eine gaͤnze Zeit lang betraͤchtliche Gruppen
des deutschen Volkes hin und her schob wie die Figuren auf einem
Schachbrett. Wenn der Kurfuͤrst schon bei Beginn des Freiheitskrieges
auf einen erheblichen Landgewinn gerechnet hatte, so wurde er in dieser
Hoffnung ziemlich stark enttaͤuscht. Schon im Juli 1814 kam es zu
einem heftigen Rencontre mit dem Freiherrn v. Stein wegen Besetzung
der reichsritterschaftlichen Amter des sog. buchischen Quartiers, wobei
Wilhelm die gegen ihn bestehende Aversion des stolzen Reichsritters wieder
spuͤren mußte. Erst der Diplomatie Lepels gelang es, Stein davon
zu uͤberzeugen, daß die Truͤmbach, Schenck, Degenfeld und Buchenau
sich bereits 1803 bez. 1806 der kurfuͤrstlichen Herrschaft freiwillig unter⸗
stellt hatten.
Die meisten Rheinbundstaaten hatten sich beim Anschluß an die Ver—
buͤndeten ihren Besitzstand garantieren lassen; dennoch war durch das
Verschwinden der neuen napoleonischen Staatsgebilde Tauschmaterial
an Land und Leuten in Fuͤlle vorhanden, und nach dem Friedens—
schluß veraͤnderte sich die Landkarte Deutschlands von Woche zu Woche.
Da die Oranier den neuerrichteten Koͤnigsthron der Niederlande bestiegen,
kam die Wiederherstellung ihrer kurzen Herrschaft in Fulda (1802 -6)
nicht in Frage. Wilhelm konnte endlich die Hand auf dies Bindeglied
zwischen Althessen und Hanau legen, das ihm schon seit 1794 ver—
sprochen war, das er aber erst jetzt durch den Vertrag vom 16. Okt.
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Losch, Kurfuͤrst Wilbhelm J.