Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

330 Kritik der Restaurationspolitik 
und Ämter genau wie im Jahre 1806 ihren Platz erhielten, alle fremden 
Kontributionen und Abgaben abgeschafft und das alte Regime meiner 
Vorfahren wieder hergestellt wurde mit der einzigen Anderung, daß der 
Bauernstand den andern Landstaͤnden zugesellt wurde, wie das die Ge⸗ 
rechtigkeit erfordert. Gott sei gelobt, der mir bei dieser harten Arbeit 
beigestanden hat.“ Und die Herzogin von Gotha schrieb an die Kur⸗ 
fuͤrstin (6. Januar 1815): „Ganz unbeschreiblich habe ich mich gefreut 
uͤber die Nachricht, daß in meinem Vaterland alles wieder wie 1806 
ist. Wie wird das ganze Land sich freuen und meinen Vater segnen.“ 
Etwas anders als ihr Urheber und seine Tochter sah die Mit⸗- und 
Nachwelt diese Restaurationspolitik an. Man sprach von einer „Ge—⸗ 
rechtigkeit des Unverstands und der Rohheit,“ und die auswaͤrtige Presse 
fing an, die Zustaͤnde in Kurhessen einer scharfen Kritik zu unter⸗ 
ziehn, wie auch im Lande selber viel Unzufriedenheit gesaͤt wurde. 
Namentlich die Zuruͤckschraubung der Beamten und Offiziere auf ihre 
fruͤheren Stellungen wurde von den Betroffenen hart empfunden, zumal 
die westfaͤlischen Staatsdiener durch hohe Gehaltszahlungen verwoͤhnt 
waren, die freilich in einem schreienden Mißverhaͤltnis zur Finanzlage 
des Staates und der Not seiner Steuerzahler gestanden hatten. Übrigens 
waren die Folgen dieser Zuruͤckdatierungen lange nicht so erschuͤtternd 
und allgemein, wie die noch heute umlaufenden mehr oder minder gut 
erfundenen Anekdoten mit ihren fabelhaften und laͤcherlichen Übertreibungen 
es erscheinen lassen. So weit es moͤglich war in dem kleineren Staats⸗ 
wesen, ruͤckten die Beamten und Offiziere doch ziemlich schnell wieder 
auf. Aber sie mußten sich stark einschraͤnken; denn ihre Gehalte erfuhren 
durchweg eine starke Kuͤrzung gegen die der westfaͤlischen Zeit, was aber 
nicht allein der bekannten Sparsamkeit des Kurfuͤrsten)), sondern der 
materiellen Lage des von den Franzosen und durch die Kriegszeiten aus⸗ 
gesogenen Landes entsprach. 
Am 8. April kam die Nachricht von der Einnahme von Paris und 
der Absetzung Napoleons nach Cassel. »Vive le Roil à bas le tiranl« 
schrieb Landgraf Fried rich, und die Casselaner feierten die Freuden— 
kunde, die die baldige Ruͤckkehr ihrer Soͤhne und Bruͤder aus dem Felde 
in Aussicht stellte, durch eine glaͤnzende Illumination und ein Tedeum 
in der Großen Kirche. Die hessischen Truppen hatten keine Gelegenheit 
zu entscheidenden Waffentaten in Frankreich gehabt, doch die nicht un— 
1) L'économie extrême, que l'Electeur exerce par penchant et par nécessité 
dans un moment ou les armements et les fraix de la guerre coũtent des sommes 
immenses (Berichte des preußischen Gesandten aus Cassel).
	        
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