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Ende des Koͤnigsreichs Westfalen
Volkes, das in dem maͤnnlich schoͤnen Russen den Kurprinzen erkennen
wollte. Wie Lepel vorausgesehen, konnte der Kosakengeneral mit seiner
schwachen Truppenmacht sich freilich nicht lange halten, sondern zog sich
mit reicher Beute beladen am 4. Oktober wieder zuruͤck. Aber die Pro⸗
klamation Tschernyscheffs, in der er das Koͤnigreich Westfalen fuͤr auf⸗
geloͤst erklaͤrte, war keine leere Phrase gewesen. „Westfalen ist druͤber
und drunter, in Insurrektion und Anarchie sich selbst uͤberlassen. Die
Stimmung der Bevoͤlkerung besonders in Althessen ist so, wie Sie sich
vorstellen koͤnnen“, berichtete der bayrische Gesandte in Cassel, dessen
Regierung in diesem Augenblick auch die Partei ergriff, die man ploͤtzlich
als die „gute und fromme“ erkannte. Jerome kam zwar noch einmal
fuͤr ein paar Tage zuruͤck, aber nur um seine Koffer zu packen und dann am
26. Oktober fuͤr immer aus Hessen zu verschwinden. Am 28. besetzte
das Korps des russischen Generals St. Priest zum zweiten Male
Fassel. Mit ihm kam am 30. der hessische Kurprinz, um als
erster seines Hauses den Boden des befreiten Vaterlandes wieder zu
hetreten. In einer kurzen, packenden Proklamation wandte sich der von
Leipzigs Siegesfeldern kommende Prinz an das Volk, und freudige Traͤnen
der Ruͤhrung und Begeisterung flossen, als die Hessen darin wieder mit
ihrem alten Namen angerufen und ihnen die baldige Wiederkehr des
rechtmaͤßigen Landesherrn verheißen wurde.
Durch einen Kurier seines Sohnes erhielt Kurfuͤrst Wilhelm die
frohe Botschaft von der Befreiung seiner Hauptstadt und zoͤgerte nun
nicht laͤnger mit der Heimkehr, auf die er sieben lange Jahre gewartet
hatte. Am 11. November verließ er Prag. Ein Bericht Lepels, der
ihn warnte, ohne die Zustimmung der alliierten Maͤchte abzureisen, kam
zu spaͤt nach Prag und setzte nur die Graͤsin Hessenstein, die ihn oͤffnete,
in einige Verlegenheit. Wilhelm fuhr uͤber Gotha, um seine Frau und seine
Toͤchter abzuholen zu dem beispiellosen Triumphzug, der von den Grenzen
des hessischen Landes bis zur Hauptstadt seiner harrte. Am Sonntag
den 21. November traf er, nachdem er zu Waldkappel uͤbernachtet haͤtte,
in Cassel ein. Die Casselaner, die schon seit mehreren Tagen ihn er⸗
warteten, hatten die Straßen der Stadt durch Guirlanden und Ehren⸗
pforten in gruͤne Hallen umgewandelt, und Tausende und Abertausende
aus Stadt und Land eilten zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen ihm
entgegen. Eine Stunde vor Cassel verließ Wilhelm seine Reisekutsche
und stieg in einen mit sechs Rappen bespannten Wagen, den ihm zwei
Paͤchter zum Geschenk brachten. An der Bettelbruͤcke vor dem Leipziger
Tor war die Menge nicht mehr zu halten, stuͤrzte sich auf die Pferde