Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Feldzug und Ende der Großen Armee 1812 317 
und den Rheinbundsfuͤrsten ihm vor dem Beginn des Feldzugs auf 
der großen Vasallenschau in Dresden zu huldigen. Vorher und nachher 
war er in Prag und empfing dort Anfang Juni 1812 seine Tochter, 
die Kaiserin Marie Luise. Auf der Promenade in den Gaͤrten von 
Bubentsch traf Kurfuͤrst Wilhelm am 14. die Gattin Napoleons, mit 
der ihn Kaiser Franz bekannt machte, nahm aber an den zu ihren 
Ehren veranstalteten Festlichkeiten nicht teil und „bewahrte das strengste 
Incognito“. Bald darauf reiste er nach Franzensbad und Eger, wo 
sich diesmal die ganze kurfürstliche Familie mit Ausnahme der Kurfuͤrstin 
ein Stelldichein gab. 
Inzwischen zog die Große Armee nach Rußland, und die von 
ihrem Vorruͤcken eintreffenden Nachrichten wurden von der ganzen Welt 
mit Spannung verfolgt. Der „Kartenkoͤnig von Westfalen“ hatte schon 
in Polen die Armee verlassen („wegen Unfaͤhigkeit heimgeschickt“, wie nicht 
nur der Kurfuͤrst annahm) und feierte in Cassel rauschende Feste, waͤhrend 
seine Soldaten den Sieg bei Borodino entscheiden halfen. In dieser 
blutigen Schlacht fiel ein Sohn Wilhelms, Moritz von Haynau, als 
westfaͤlischer CKapitaͤn,) auf der andern Seite wurde der unternehmungs⸗ 
lustige Prinz Ernst v. Barchfeld von einer franzoͤsischen Kanonen⸗ 
kugel zum Kruͤppel geschossen. Die franzoͤsischen Bulletins meldeten wie 
gewoͤhnlich nichts als Siege, waͤhrend schon die Flammen des brennenden 
Moskaus das Fanal zum Ruͤckzug bildeten. Allmaͤhlich sickerte aber 
doch die Wahrheit durch und ließ die Hoffnung auf eine Wendung der 
Dinge maͤchtig anschwellen. In verbluͤmten Saͤtzen schrieb die Kurfuͤrstin 
von den Reconvalescents (damit bezeichnete sie die Russen), deren Heilung 
erfreuliche Fortschritte machte, und aͤußerte immer lebhafter die Hoffnung 
auf ein Wiedersehn nach sechsjaͤhriger Trennung, aber nicht in Boͤhmen, 
sondern plus près de moi. „Man vergißt gern das Vergangene, 
wenn man sich solcher Hoffnung schmeichelt.“ Am 15. Dezember kam 
Napoleon „incognito“ in einem Bauernschlitten auf seiner eiligen 
Flucht durch Gotha, und nun kamen direkte Nachrichten aus russischen 
Quellen, die keinen Zweifel mehr uͤber den Untergang der Großen Armee 
ließen. »Voilà donc la fin de cette monstrueuse Equipée — - IIIæ« 
notierte der Kurfuͤrst mit lakonischer Genugtuung in seinen Memoiren. 
1) Sein Bruder Georg v. Haynau, badischer dauptmann, geriet beim Ruͤckzug 
in russische Gefangenschaft und starb dort an seinen Wunden. Ein dritter natuͤrlicher 
Sohn Wilhelms, Fritz v. Heimrod, fiel im naͤchsten Jahr gleichfalls auf franzoͤsischer 
Seite als badischer Generalmajor bei Kulm. Dessen älterer Bruder Wilhelm, vordem 
in der kurfuͤrstlichen Legion, war schon am 5. Januar 1811 zu Neapel gestorben, sodaß 
der Kurfuͤrst binnen kurzer Zeit vier seiner natuͤrlichen Soͤhne verlor.
	        
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