Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Die Kurfuͤrstin in Gotha 
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ihrer Tochter, der Herzogin Caroline. Ihre sehr zahlreichen Briefe an 
den Kurfuͤrsten gingen unter der Deckadresse „Sr. Exc. des Grafen 
v. Plessen im Lichtensteinischen Palais zu Prag“ und waren aus Furcht 
vor unberufenen Mitlesern sehr vorsichtig abgefaßt,) wenn nicht durch⸗ 
reisende Anhaͤnger und Freunde eine zuverlaͤssigere Befoͤrderung ermoͤg⸗ 
lichten. In Gotha herrschte ja die uͤberschwengliche Vergoͤtterung des 
„Einzig⸗Großen,“ und wenn auch die Herzogin Caroline in diesem Punkte 
hrem bizarren Gemahl?) nicht folgte, vielmehr „das Ungeheuer Bona⸗ 
barte“ nicht minder haßte wie ihr Vater, so war die Kurfürstin doch 
so aͤngstlich, daß sie den Kurfuͤrsten bat, wichtige politische Nachrichten 
auf besondere Zettel zu schreiben, weil Caroline ihre Briefe mitlas. Die 
alte Frau war uͤberhaupt oft recht verzagt, ließ sich aber dann immer 
wieder durch die von ihr bewunderte fermeté und das feste Gottvertrauen 
des Kurfuͤrsten aufrichten. Jede Aufmerksamkeit des fernen Gemahls, 
dessen Bild uͤber ihrem Bett und Sofa hing, ruͤhrte sie zu Traͤnen, und 
als er ihr als Frucht seiner neuen Zeichenstudien eine Rheinlandschaft 
schickte, da stickte sie ihm einen Teppich mit der Inschrift: Hoffnung er⸗ 
haͤlt, wenn alles zerfaͤllt. Den wollte sie ihm nach Franzensbad mit⸗ 
bringen, aber das mehrfach geplante Rendezvous kam nie zur Aus— 
fuͤhrung. Es war jedoch mehr Schwerfaͤlligkeit und Kraͤnklichkeit, die 
sie zuruͤckhielten, als etwa Eifersucht auf die Graͤfn Schlotheim; denn 
mit deren Stellung hatte sie sich laͤngst abgefunden. Vermochte sich die 
ttille Dulderin schließlich doch so weit zu uͤberwinden, Gruͤße an die 
Braͤfin zu bestellen und ihr dafuͤr danken zu lassen, d'avoir contribuè à 
Vous faire passer durant ces trisstes annèes des moments doux 
et agréables! 
Über Gotha kamen auch zuweilen Nachrichten aus Hessen nach Prag, 
da die Kurfuͤrstin noch viele Beziehungen zu ihren Casseler Freunden 
unterhielt und Briefe und Besuche von dort empfing. Nach den miß— 
gluͤckten Aufstaͤnden von 1809 herrschte in den Kreisen der treuen Hessen 
eine dumpfe Niedergeschlagenheit, wenn sie auch nicht aufhoͤrten, ihre 
Anhaͤnglichkeit an den angestammten Herrn zu versichern. Und manche 
1) Diese Vorsicht war nicht unnoͤtig. Der Kurfuͤrst klagte oft daruͤber, daß seine 
Briefe geoͤffnet seien. Das geschah nicht nur von franzoͤsischen Spaͤhern, in Prag wurde 
Wilhelm auch von der k. k. Polizei peinlich uͤberwacht und seine Korrespondenz „inter⸗ 
cipiert.“ 
2) Um nur ein Beispiel von der Napoleonsschwaͤrmerei des Herzogs August zu 
erwaͤhnen, so schrieb dieser kurz nach der Schlacht bei Jena, die seine Fuͤrstenexistenz 
in Frage stellte: „Ich glühe vor Ungeduld, unser Vorbild der Kraft und des alles 
besiegenden Goͤttergluͤckes zu sehn! Doch wie soll ich den Heldenblick ertragen? Nichts 
dabon, mir schwindelt.“
	        
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