Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Unterricht Heimweh und Langweile 
Neben den gesellschaftlichen Pflichten wurde der Unterricht nicht ver⸗ 
aachlaͤssigt, dafuͤr sorgten Severy und seine beiden Kollegen. Der 
gewohnte Stundenplan wurde mit Eifer wieder aufgenommen und be— 
sonders fleißig alte Geschichte nach dem Lehrbuch von Rollin betrieben. 
Den Plutarch hatte Wilhelm schon in Cassel in franzoͤsischer Übersetzung 
zgelesen und viel Gefallen an seinen Helden gefunden, jetzt wurde zur 
Unterstuͤtzung der griechischen Geschichte Herodot herangezogen, an dem 
der Prinz jedoch weniger Geschmack fand. Fuͤr das Englische, das 
seit der Trennung von der Mutter in Gefahr stand vergessen zu 
werden, hatte Wittorf den akademischen Lektor Thompson aus London 
zewonnen, den einzigen Universitaͤtslehrer, von dessen Unterricht die klei 
nen Studenten direkt etwas profitierten. Auch Wittorf las den Kindern 
zuweilen etwas vor, aber besser als die erbaulichen Buͤcher, die er be⸗ 
vorzugte, gefielen ihnen die Reitstunden, die der Oberstallmeister selber 
erteilte. Da war er ganz in seinem Fache und brachte es bald fertig, 
daß die Jungen als geschickte Reiter fest im Sattel saßen und dann 
nicht mehr an die Seidenwuͤrmer dachten, womit sie im Casseler 
Schlosse gespielt hatten. 
Das Reiten war aber auch so ziemlich das einzige Vergnuͤgen, das 
die Prinzen in Goͤttingen hatten, und oft packte sie die Sehnsucht und 
das Heimweh nach der Vaterstadt und der geliebten Mutter. Die kleine 
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teilnahmen, erschien Wilhelm als das Zentrum der langen Weile; „denn 
in unserem Alter konnten wir von den Vorlesungen noch nichts profi⸗ 
tieren, die allein imstande gewesen waͤren, die grenzenlose Monotonie 
unseres Lebens zu stoͤren. Unsere feierlichen Diners waren schrecklich, 
und die alten Professoren erschienen lebhaften Kindern, wie wir waren, 
als furchtbare Wesen. Dabei bildeten sie die Glanznummern unserer 
Diners. Das schlechte Verhaͤltnis zwischen unseren Gouverneuren Wit— 
torff und Sévery trug auch nicht zu unserm Vergnuͤgen bei. An offener 
Tafel kam es bisweilen zum Ausbruch, was einen boͤsen Eindruck auf 
uns machte.“ 
Die einzigen wirklichen Freudenfeste in ihrem Goͤttinger Dasein bil⸗ 
deten fuͤr die Prinzen die Besuche ihrer Mutter. Die Trennung von 
den Kindern war der Erbprinzessin unsagbar schwer geworden. „Cassel 
ist haͤßlich wie der Teufel in meinen Augen“, schrieb sie gleich nachher 
ihrem Bylly, „denn all meine Freude und all mein Vergnuͤgen hat mich 
in dem Augenblick verlassen, wo die Kutsche mit meinen drei Engeln 
daponfuhr.“ Wie sie schon früͤhber bei gelegentlicher Abwesenheit der
	        
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