Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

298 Prager Theater Gesellschaftsleben 
Muͤller jetzt deutsche Opern und Singspiele, bis Carl Maria v. Weber, 
der Anfang 1813 mit einer Empfehlung an den Kurfuͤrsten nach Prag 
kam, ihn abloͤste. Der Kurfuͤrst war ein regelmaͤßiger Theaterbesucher 
und notierte sich gewissenhaft alle Stuͤcke, die er sah. Den Auf— 
fuͤhrungen der Volksbuͤhne auf der Kleinseite, die das niedrigkomische 
Element pflegte und zuweilen auch in boͤhmischer Sprache spielte, 
vermochte er aber wenig Geschmack abzugewinnen. Er fand sie stellen⸗ 
weise „sehr gemein“; denn fuͤr den burlesken Possenton fehlte ihm das 
Verstaͤndnis. 
Der boͤhmische Adel zeigte anfangs keine besondere Zuvorkommen⸗ 
heit gegenuͤber dem depossedierten Fuͤrsten, dessen steife Gemessen— 
heit fremdartig beruͤhrte und dessen eigenartige Familienverhaͤltnisse das 
Anknuͤpfen geselliger Beziehungen auch nicht gerade erleichterten. Die 
Graͤfin Schlotheim machte bald nach ihrer Ankunft zahlreiche Besuche 
in der Stadt und fuhr an einem Tage bei 54 Haͤusern vor, aber „nie⸗ 
mand zeigte großes Verlangen zu naͤherer Bekanntschaft.“ Die Spitzen 
der Gesellschaft hielten sich zuruͤck. Selbst als die meisten Haͤuser 
vom Lande retourniert waren, dauerte es noch geraume Zeit, bis der 
Kurfuͤrst, und noch mehr seine Freundin Eingang in ihnen fand, so 
daß er sich oͤfters beschwerte: „Bekanntschaft zu machen, scheint hier 
sehr schwer zu sein, wir leben meist vor uns.“ Das aͤnderte sich spaͤter, 
als der Erzherzog Ferdinand, Bruder der Kaiserin, im November 
fuͤr drei Tage nach Prag kam, und die beiden hohen Herrn Besuche 
wechselten. Das Zermoniell bei dem Besuch eines Kurfuͤrsten des hl. 
Roͤmischen Reiches schien zwar den HÄsterreichern „ganz unbekannt zu 
sein,“ aber Wilhelm war doch zufrieden, der „Empfang war gut.“ Der 
Oberstburggraf Graf Wallis) gab einen großen Ball, auf dem der 
Kurfuͤrst erschien, und das Eis war gebrochen. Es folgten Einladungen 
beim Fuͤrsterzbischof, beim Fuͤrsten Auersperg, bei der Graͤfin Schoͤnburg, 
dem Grafen Kolowrac-⸗Libsteinsky u. a. meist steife Assembleen, die aber 
alle mitgemacht wurden, so daß die Kurfuͤrstin ganz verwundert aus 
Gotha schrieb: sie koͤnne gar nicht begreifen, daß ihr Mann sich so in 
den Strudel der Gesellschaft stuͤrze, aus dem er sich fruͤher doch gar 
nichts gemacht habe. Gemuͤtlicher war es bei der alten Graͤfin Wallis, 
bei der man oft abends zum Tee und Spiel war. Mit dem Erzbischof 
Fuͤrsten Salm⸗Salm,?) der als Bischof von Tournay die Schrecken 
1) Joseph Graf Wallis (1767 -1818) 1805 — 10 Oberstburggraf von Boͤhmen, 
dann oͤsterreichischer Finanzminister, unter dem der Staatsbankerott ausbrach 
2) Wilbelm Florentin (1745 — 1810), seit 1794 Erzbischof von Prag.
	        
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