Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

296 Prager Sebenswuͤrdigkeiten Kirchliche Verhaͤltnisse 
Der Kurfuͤrst war zum ersten Male in seinem Leben in Prag, und 
es gab viel Neues fuͤr ihn dort zu sehn. Über die imponierende Moldau⸗ 
bruͤcke wanderte er durch die Altstadt, fuhr in einem Boot auf der Moldau, 
war auf ihren schoͤnen Inseln, wo er das Prager Volksleben kennen⸗ 
lernte, und besichtigte die Sehenswuͤrdigkeiten und Kunstschaͤtze der 
Stadt. In der Czerninschen Gallerie fand er ein Bild Boͤttners, Jupiter 
und Ganymed, das ihn als Werk seines Hofmalers anheimelte. Fast 
taͤglich machte er seine Fußpromenaden in den schoͤnen Gaͤrten der Nach— 
barschaft, von denen er den Wallensteinschen als die huͤbscheste und naͤchste 
Promenade bevorzugte; und so oft er auch an seine geliebte Wilhelms⸗ 
hoͤhe dachte, so mußte er doch auf der Hoͤhe des Hradschin gestehn: 
„Eine solche schoͤne Aussicht habe ich noch nicht gesehn.“ 
Einer seiner ersten Wege in Prag war der nach der protestantischen 
Kirche, die hinter der Allee in der Neustadt lag. Hatte er schon in dem 
lutherischen Holstein sich religioͤs isoliert gefuͤhlt, so war das hier 
in der ganz katholischen Stadt noch viel mehr der Fall. Die paar 
Protestanten in Prag hatten dermalen nur einen lutherischen Pfarrer, 
und mit Befremden sah der Kurfuͤrst, daß hier beide Reformationsver⸗ 
wandte, Lutheraner und Reformierte, zusammen zum heiligen Abend⸗ 
mahl gingen. „Ich hielt mich zuruͤck“, erzaͤhlt er, „um ganz refor⸗ 
miert bei erster Gelegenheit zu communiciren, es schienen mir zu viel 
Abweichungen von unserer Lehre zu sein.“ Erst nach Monaten, „nach 
genau eingezogener Pruͤfung unseres Kandidaten Theobald“, des Ex—⸗ 
ziehers der jungen Hessensteins, uͤberwand er seine Bedenken und nahm 
am ersten Christtag mit den Lutheranern am Abendmahle teil, mit schmerz⸗ 
licher Ruͤhrung dabei des „zu Hause verstoͤhrten Gottesdienstes in der 
Schloßkirche zu Cassel“ gedenkend und mit dem Wunsche: „Der Herr 
lasse mich doch das naͤchste mal dort wieder communiciren!“ 
So sehr ihm Prag an sich gefiel, recht heimisch konnte er dennoch 
dort nicht werden. Zunaͤchst war er ganz allein auf den Verkehr mit 
seinen Getreuen beschraͤnkt, die mit ihm das Los der Verbannung teilten. 
Das waren die beiden Adjutanten v. Thümmel) und v. Müller,) 
1) Hans Adolf Freiherr v. Thümmel (1763 — 1851), damals Major, spaͤter 
General und Oberhofmeister der Kurfuͤrstin, erwarb sich durch seine absonderlichen Ge⸗ 
legenheitsgedichte einen gewissen Ruf und einen Platz im „Buͤchmann“. Seit 1791 
verheiratet mit Auguste v. Schlotheim, die aber getrennt von ibm lebte und in Cassel 
geblieben war. 
2) Moritz Guͤnther v. Muͤller (1760 - 1827), Major im Regiment Garde, 1809 
Oberst und Kommandeur der kurfuͤrstlichen Legion, 1813 Generalmajor und Komman—⸗ 
deur des Regiments Kurfuͤrst. Starb als Generalleutnant und Kommandant von Cassel—
	        
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