Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

In Toͤnningen Neue Fluchtplaͤne 
20s 
Als die Franzosen Schleswig besetzten, verließ der Kurprinz Gottorp 
und kam wieder nach Itzehoe zu seinem Vater. Beide reisten Anfang 
Juni zusammen nach Toͤnningen,) wo der Kurfuͤrst in aller Stille seinen 
Geburtstag feierte, den zweiten „in dem Herumirren“. Hier trafen sie 
viele Englaͤnder und Amerikaner, die beiden hohen Reisenden wurden 
aber gar fuͤr Spanier gehalten; dann aber, als sie ihr Incognito luͤfteten, 
verbreitete sich das Geruͤcht, sie wollten auf einem dort liegenden Schiffe 
nach Amerika fluͤchten. Des Kurfuͤrsten Entschluß zur Abreise war auch 
laͤngst gefaßt. Seitdem die Franzosen im Lande standen, war die Un⸗ 
sicherheit fur ihn und noch mehr fuͤr seine Schaͤtze, die jetzt z. T. in Itze⸗ 
hoe eingemauert waren, zu groß, als daß er noch Ruhe gehabt haͤtte. 
Die Frage war nur: wohin sollte er fluͤchten? Im Dezember 1807 
hatte der Koͤnig von Preußen ihn nach Berlin eingeladen und ihm in 
Monbijou eine Zufluchtsstaͤtte angeboten. Aber auch in der preußischen 
Hauptstadt lagen noch die Franzosen. Da außerdem das Anerbieten 
mit starken finanziellen Forderungen belastet war,“) die der Kurfuͤrst fuͤr 
die preußische Anleihe bewilligen sollte, so ließ er den zuerst froh er— 
griffenen Gedanken bald wieder fallen, ebenso wie er den Vorschlag 
Wittgensteins ablehnte, sich in Colberg niederzulassen. Eine Zeit lang 
dachte er an Mecklenburg, aber die Erfahrungen, die er mit seinen dort 
ausstehenden Kapitalien machte, nach denen der franzoͤsische Intendant 
Daru in Berlin seine Hand ausstreckte, ließen ihm den Aufenthalt in 
diesem Lande auch nicht sicher genug erscheinen. Wollte er nicht uͤber⸗ 
haupt Deutschland verlassen, so blieb ihm nur ein Land uͤbrig, das 
noch nicht voͤllig unter der Fuchtel Napoleons stand, das war Oester⸗ 
reich. Ende Juni ließ er deshalb in Wien durch den dort noch befind⸗ 
lichen hessischen Geschaͤftstraͤger Lepel') den kaiserlichen Hof wegen 
eines event. Aufenthaltes in Prag sondieren. Er wartete aber die Ant⸗ 
wort nicht ab, sondern bereitete in der Stille alles zur Flucht. Roth— 
schild uͤbernahm die Obligationen und das Medaillenkabinett zu einem 
borlaͤufigen Transport nach Gotha. Die Coupons, Brillanten und 
sonstigen Pretiosen nahm der Kurfuͤrst selbst mit sich auf die Reise, die 
1) Der Ort ist maͤßig. Alles extra theuer. Fuͤr 36 stuͤndigen Aufenthalt zablte 
100 R. Thaler.“ (Tagebuch.) 
2) Er sollte auch preußische Domaͤnen und geistliche Guͤter in Schlesien kaufen, 
wofuͤr man ihm „in Ansehung seiner Possessionen“ die Rechte der schlesischen Standes— 
berrn, z. B. des Herzogs von Oels, beilegen wollte. 
8) Georg Ferdin. v. Lepel (1779 -1878) 1798 Leg.Gekrelaͤr zu Regensburg. 
seit 1804 in Wien, 1816 Gesandter am Bundestag, 1836 —30 kurhessischer Minister 
des Außeren, spaͤter Minister in Koburg, wo er bochbetagt starb.
	        
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