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Wittorff Repraͤsentationspflichten
England und Preußen hatte er diplomatisches Geschick bewiesen und sich
durch seine unbedingte Ergebenheit, Gewissenhaftigkeit und strenge Pflicht⸗
treue das unbeschraͤnkte Vertrauen seines fuͤrstlichen Herrn erworben.
Aber das Hofleben, in dem er seit seinem 14. Jahre aufgewachsen war,
hatte sein von Natur zu steifer Foͤrmlichkeit und Etikette neigendes Wesen
nicht unbeeinflußt gelassen, und dies ebenso wie seine strenge Religiositaͤt,
die er gern betonte und offen zur Schau trug, vertrug sich wenig mit
dem im Grunde genommenen sehr freisinnigen und ungezwungenen Geiste,
in dem die Prinzen bisher erzogen waren. Vor allen Dingen paßte
seine Art wenig zu den Anschauungen Séeverys, der sich so wie so
durch Wittorffs Berufung zuruͤckgesetzt fuͤhlte und nur durch die Bitten
der Erbprinzessin Marie und dadurch, daß sie hinter dem Ruͤcken ihres
Schwiegervaters die Besoldung des Schweizers verdoppelte, in seinem
Amte gehalten wurde. Wittorff mochte sich wohl selber fuͤr nicht ganz ge⸗
eignet halten fuͤr das Amt eines Prinzenerziehers und fuͤhlen, daß er,
der wohl einst auf Veranlassung des Landgrafen in Genf die Luͤcken
seiner geistigen Bildung auszufuͤllen getrachtet hatte, dann aber in
der beruͤhmten Schule des Buͤckeburger Reitlehrers Hoscher ausgebildet
war, sich besser auf die Dressur von Pferden als auf die Erziehung
sunger Menschen verstand. Aber der Wunsch des Landgrafen war fuͤr
ihn ein Befehl, dem er, wenn auch nicht ohne Widerstreben, gehorchte.
Seit zwei Jahren war er mit einem Fraͤulein v. Molsberg, einer Hof—⸗
dame der Erbprinzessin, in kinderloser Ehe verheiratet. Auf Mariens
Veranlassung mußte Frau v. Wittorff ihrem Manne spaͤter nach
Goͤttingen folgen, wo sie indessen nicht im prinzlichen Haushalt, sondern
im Hause des Tuchmachers Scharff wohnte, und von hier aus bemuͤht
war, den Prinzen die fehlende Mutter zu ersetzen.
Wittorffs erste Sorge war, die Repraͤsentationspflichten der Prinzen
zu regeln und daruͤber zu wachen, daß sie nicht verletzt wurden. Er be—
stimmte die Tage, an denen man den Professoren und auserwaͤhlten
Studenten Diners gab, wo sich die Jungen fuchterlich langweilten,
und setzte einen Tag in der Woche fest, an welchem sie die nicht
minder langweiligen Besuche der akademischen Honoratioren empfangen
mußten. Mit peinlicher Sorgfalt traf er die Auswahl unter den
Studenten, die fuͤr den naͤheren Umgang mit seinen Zoͤglingen in Be—
tracht kommen konnten. Da diese „von Familie“ sein mußten, war
die Auswahl nicht sehr groß, und so gehoͤrten zum naͤheren Verkehrs⸗
kreise nur ein holsteinischer Graf v. Donath, zwei Grafen Wacht⸗
meister, ebenfalls aus dem Holsteinischen, und ein Graf Gers⸗