284 übersiedlung nach Iuzehoe 1807
land hoffte man durch Proklamationen das Volk zu einem allgemeinen
Kampf gegen die Franzosen aufbieten zu koͤnnen. Dieser Plan wurde
von dem Landgrafen Carl und seinem Sohn Friedrich, dem Rends⸗
burger Gouverneur, eifrig befuͤrwortet. Beide wollten sogar eventuell ein
Kommando bei der Expedition uͤbernehmen. Aber in London, wo
Wittgenstein vom Mai bis Juli 1807 war, erhob man skeptische Be—
denken. Es war auch nicht zu leugnen, daß nach der Deportation der
hessischen Offiziere nach Frankreich ein organisierter Aufstand im Lande
auf unuͤbersehbare Schwierigkeiten gestoßen waͤre. Der Plan zerschlug
sich wie aͤhnliche spaͤtere, bei denen der Vertraute des Landgrafen Carl,
der Kammerherr v. Waͤchter, seine Haͤnde im Spiel hatte, was bei
dem Mißtrauen des Kurfuͤrsten gegen diesen geldbeduͤrftigen Herrn nicht
zu ihrer Empfehlung diente.
Am 30. April 1807, als Wittgenstein sich nach London einschiffte,
hatte der Kurfürst Rendsburg verlassen und war nach Itzzehoe uͤber—
gesiedelt. Hier hatte Etatsrat Lawaetz von einer Frau v. Schilden geb.
Rantzau) fuͤr 16000 daͤnische Taler einen neuen Wohnsitz fuͤr ihn er⸗
worben. Der Kurfuͤrst fand diesmal alles nach seinem Wunsch: ein
stattliches Haus?) mit großem Garten, eine reizende Umgebung in den
holsteinischen Marschen und einen angenehmen geselligen Verkehr fuͤr die
Graͤfin mit den Konventualinnen des Klosters Itzehoe und den Adels—
familien der Nachbarschaft. Unter den Familien, die ihm damals nahe—
traten, waren besonders die Grafen Ahlefeldt und Rantzau zu Roß—
dorf und Breitenburg. In ihrem Kreise fuͤhlte sich der Kurfuͤrst so wohl,
daß er zuweilen sein Mißgeschick vergaß. Auf einer Gesellschaft zu
Amoenenhoͤhe im Breitenburger Wald war man so vergnuͤgt, daß er
sich selber gesstand: „Ich erlebe hier in meinem Ungluͤck heitere Tage.“
Seinen 65. Geburtstag feierte der Kurfuͤrst bei dem Grafen Ahlefeldt.
Zahlreiche Gluͤckwuͤnsche und Zeichen der Treue waren aus der Heimat
eingetroffen. Die hessischen Landstaͤnde sandten durch den Obervorsteher
v. Scholleyd) ihre heißesten nund treusten Wuͤnsche auf baldigen Frieden
und Erfuͤllung der sehnlichsten Hoffnungen des treuen Vaterlandes.
1) Sie war eine Schwester der Grafen Carl und Conrad v. Rantzau, von
welchen der letztere spaͤter als Minister und Guͤnstling Koͤnig Friedrichs VI., noch mehr
aber als Maͤzen und Goͤnner von Thorwaldsen und Andersen sich einen Namen machte.
2) Der spaͤter sog. Prinzessinnenhof, weil in der Folgezeit die fuͤrstlichen Äbtissinnen
des Klosters Itzehoe dort wohnten. Die erste Bewohnerin nach dem Kurfuͤrsten war
die hessische Prinzessin Juliane, eine Tochter des Landgrafen Carl.
3) Mit seinem Sohne, dem Hauptmann Carl v. Scholley, starb 1829 dies alte
Geschlecht aus, dessen Name 1837 auf die Stiefsoͤhne des letzten hessischen Kurfürsten
uͤbertragen wurde.