Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

276 Kritik des alten Regimes Soldatenaufstand 
war ein boͤses Pendant zu der Schrift, die einst Wilhelms IX. sieben erste 
Regierungsjahre gepriesen hatte, glich ihr aber nur in den maßlosen 
UÜbertreibungen des Urteils uͤber die „unsterbliche Regierung Wilhelms IX.“ 
Der gehaͤssige Ton, die Entstellungen und Übertreibungen der Schrift 
mußten Widerspruch hervorrufen. So protestierten „die Offiziere vom 
alten Militair in Hessen“ in einer oͤffentlichen Erklaͤrung aus Cassel im 
Oktober 1807 gegen die Ausfuͤhrungen des Anonymus, und ein gleich⸗ 
falls namenloser Verfasser)) suchte „Hessen in seiner wahren Gestalt“ zu 
zeichnen und die Angriffe gegen das alte Regime zu widerlegen. 
Dem Kurfuͤrsten bexeiteten diese oͤffentlichen Eroͤrterungen bittere 
Stunden. Die hessische Armee war sein ganzer Stolz gewesen, und nun 
mußte er sich in dem „infamen Libell eines schaͤndlichen Pasquillanten“ 
sagen lassen, daß er nichts getan habe, sie zu verbessern, sondern alles 
aur um sie zu ruinieren. „Gott that mir die Gnade, daß ich es mit Ruhe 
lesen und als Product eines schaͤndlichen Verraͤthers betrachten konnte.“ 
Bestaͤrkt sah er sich in dieser Ansicht durch das Verhalten seiner Armee 
in den ersten Wochen nach der Katastrophe. 
Napoleon hatte nicht die Absicht, die starken militaͤrischen Kraͤfte 
des exoberten Landes brach liegen zu lassen. Lagrange mußte 
deshalb, nachdem der Versuch zur Bildung freiwilliger hessisch⸗franzoͤsi⸗ 
scher Regimenter ein klaͤgliches Resultat gehabt hatte, den Befehl an 
die beurlaubten Soldaten erlassen, sich regimenterweise zum Eintritt in 
den franzoͤsischen Dienst zu stellen. Die Folge dieser Verfuͤgung war 
der Ausbruch der ersten Insurrektion gegen die Fremdherrschaft. An 
fast allen Standorten der Regimenter in Althessen kam es zu blutigen 
Revolten von Soldaten und Bauern, und in den Weihnachtstagen von 
1806 hallte das ganze Land wieder von dem erbitterten Wutgeschrei: „Tod 
den Franzosen! Vivat der Kurfuͤrst!“ Am 31. Dezember erfuhr der alte 
Herr in Gottorp zuerst von diesen Geschehnissen in Hessen und schrieb 
mit vor Freude und Hoffnung zitternder Hand in seinen Kalender: 
„Letzter Tag meines unglücklichen Jahres. Heute kommen wichtige 
Nachrichten. Meine Soldaten, von zwei Unteroffiziers gefuͤhrt, rotten 
sich zusammen. Sie wollen mich zur Regierung wieder haben. La 
Grange muß nachgeben. O Freude, solche Soldaten und Unterthanen zu 
haben! ... Gott heile die Wunden, die geschlagen werden. Gott bringe 
mich in mein Vaterland zuruͤck!“ Aber es sollte noch lange dauern, bis 
dies Gebet in Erfuͤllung ging. Freilich, Lagrange mußte nachgeben und 
5 Es war Paul Wigand, der Jugendfreund der Bruͤder Grimm und spaͤtere 
Schwiegervater Sylvester Jordans.
	        
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