Napoleons Plaͤne Einmarsch Mortiers
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Lage und Festigkeit der Festungen, den Zustand und die Staͤrke der
Truppen und die Stimmung der Bevoͤlkerung. Am 30. Sept., am Tage
bevor er das oben erwaͤhnte Beruhigungsschreiben fuͤr den Kurfuͤrsten an
Dalberg richtete, schickte Napoleon seinem Bruder Louis, dem Koͤnige von
Holland, eine ausfuͤhrliche Instruktion, die seine wahren Plaͤne mit Hessen
enthuͤllten. „Die Neutralitaͤt des Kurfuͤrsten taͤuscht mich nicht, obwohl
sie mir zustatten kommt“ heißt es darin. Dann gab er ihm die Ver—
haltungsmaßregel, dem Kurfuͤrsten mit Schonung und Achtung zu be—
zegnen, um ihn in Sicherheit zu wiegen und noch einige Zeit bei seiner
Neutralitaͤt beharren zu lassen, da es ihm nur lieb sein koͤnne, wenn
Preußen 10—-12 000 Mann weniger auf dem Schlachtfelde habe. „Aber
das erste Resultat eines großen Sieges muß sein, diesen geheimen und
gefaͤhrlichen Feind hinter meinem Ruͤcken wegzufegen.“
Der große Sieg war errungen, und drei Tage spaͤter gab Napoleon
seinem Bruder von Weimar aus den Befehl, Cassel zu besetzen und den
Kurfuͤrsten gefangen zu nehmen.
Die ersten drohenden Nachrichten kamen aber nicht von der Nord⸗
armee des Koͤnigs von Holland, sondern vom Suͤden. Am 26. Oktober
kam hier ein franzoͤsisches Armeekorps unter dem Marschall Mortier
von Vach aus angeruͤckt, druͤckte den schwachen Grenzposten zuruͤck und
sog in der Richtung nach Cassel weiter. Den hessischen Oberstleutnant
d. Och s), den der Kurfuͤrst den Franzosen entgegenschickte, suchte man
mit der hoͤflichen Ausrede zu beruhigen, daß es sich nur um einen bloßen
Durchzug handele. Der Kurfuͤrst, der am 28. Oktober den Generalmajor
d. Lehsten?) mit einem demuͤtigen Dankesbrief fuͤr die zugestandene
Neutralitaͤt an Napoleon schickte, wollte auch noch immer an keine Feind⸗
seligkeiten glauben, zumal Mortier mit seinem Marsche sich nicht beeilte.
Als ihm aber in der Nacht zum 30. Mortiers Eintreffen in Hersfeld
gemeldet wurde, „frappierte“ ihn das doch sehr. Am 31. ging er gegen
seine Gewohnheit nicht aus, er „ahndete etwas boͤses“. Noch einmal
wurde Ochs den Franzosen bis Melsungen entgegengesandt, aber am
Nachmittag desselben ungluͤcklichen Freitags kamen sie schon, 8000 Mann
stark, uͤber die Soͤhre und lagerten bei Waldau. Jeder Zweifel uͤber
1) Adam Ludwig Ochs, * 1759 zu Rosenthal, zeichnete sich in Amerika bei den
Jaͤgern aus, 1799 Major und Kommandeur des Jaͤgerbataillons, 1802 geadelt, 1805
Oberstleutnant, in westfaͤlischen Diensten Divisionsgeneral, wurde erst nach langem Zoͤgern
wieder in Gnaden angenommen, zuletzt Gouverneur des Prinzen Friedrich, F 1838.
2) Ludwig August Detlef v. Lehsten, Generalmajor und Kommandeur des Regi⸗
nents Gensdarmes, oͤfters zu diplomatischen Missionen verwandt. Trat in westfaͤlische
Dienste, fiel daruͤber in Ungnade und starb 1819 auf seinem schlesischen Gute Lessendorf.