268 Napoleon und die hessische Neutralitaͤt
uͤnterthanen durch die Weisheit ihres erhabenen Herrschers geschuͤtzt, die
Fruͤchte des Friedens genießen, waͤhrend ein verheerender Krieg rings
um sie her wuͤthete“. Aber auch Talleyrand hatte „wirkliche Neutralitaͤt“
verlangt und vorausgesetzt, zuletzt in einer Zusammenkunft mit Bignon,
der waͤhrend der Reise des Kurfuͤrsten nach Naumburg in Mainz ge—
wesen war. Seitdem waren aber die hessischen Truppen mehr und mehr
verstaͤrkt, und am 11. erst war die allgemeine Mobilmachung angeordnet
worden. Es war nicht anzunehmen, daß diese Schritte, obwohl sie „still⸗
schweigend“ und ohne Aufsehn zu erregen, geschehen sollten, den Fran⸗
zosen unbekannt blieben. Hatte doch Bignon schon Äußerungen von
einer neutralité perfide fallen lassen. Von Tag zu Tage wuchs die Sorge,
ob die siegreichen Franzosen die wieder an allen Grenzen des Landes
aufgestellten Pfaͤhle mit der Inschrift »Electorat de Hesse. Pays
neutre« respektieren wuͤrden. In dieser ungewissen Lage verließ den
Kurfuͤrsten seine von ihm selbst so oft geruͤhmte fermetè, und er ent⸗
schloß sich zu dem ungluͤcklichsten Schritt seines Lebens: er befahl am
19. Oktober den Truppen, in ihre Garnisonen zuruͤckzukehren, und ließ
die eingezogenen Beurlaubten wieder entlassen. Damit konnte er sich die
Gunst Napoleons nicht mehr erkaufen, vielmehr sein Land nur noch
waffenlos dem Feinde ausliefern.
Am Tage nach dem Demobilisierungsbefehl verließ ploͤtzlich der fran⸗
zoͤsische Gesandte Bignon Cassel und reiste auf Napoleons Befehl ins
kaiserliche Hauptquartier. „Ich bin uͤber diese Reise sehr besorgt“,
schrieb der Kurfuͤrst, und er hatte auch guten Grund dazu. Es war
nur ein schwacher Trost, daß aus einzelnen Landesteilen uͤberschwengliche
Dankesaͤußerungen daruͤber laut wurden, daß „Se. kurfuͤrstliche Durch⸗
laucht Hoͤchstdero Unterthanen vor den Schrecknissen des Krieges aber—
mals bewahrt“ haͤtten. Die von der Schlacht bei Jena her versprengten
Preußen zogen durch das Land. Entsetzlich war es fuͤr den Kurfuͤrsten,
als die Offiziere seines preußischen Regiments waffenlos durch Cassel
kamen und sich vor Scham nicht zu zeigen wagten. Und hinter ihnen
her kamen — die Franzosen.
Napoleon haͤtte sich durch den hessischen Kurfuͤrsten nicht taͤuschen
lassen. Er haͤtte ihn voͤllig durchschaut, wußte, daß Wilhelm nicht auf
die Seite der Franzosen treten, aber keinen Augenblick gezoͤgert haben
wuͤrde, bei einem Erfolge der preußischen Waffen sich mit diesen zu ver⸗
einigen, wovon ihn nur sein geringes Vertrauen auf die preußische Politik
und Kriegfuͤhrung zunaͤchst abhielt. Seit September bereisten in des
Kaisers Auftrag militaͤrische Spione das hessische Land, erkundeten die