Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Katastrophe von Jena Hessens Neutralitaͤt 267 
aufraffen konnte, wurde nun doch etwas irre. Am 8. hatte er Waitz, 
der aus Berlin und Naumburg zuruͤckgekommen war, wieder zu neuen 
Verhandlungen nach Erfurt geschickt, und am 11. erließ er eine Ordre, 
„die Mobilmachung aufs schleunigste zu vollenden.“ Die Truppen sollten 
eine Stellung an Eder und Schwalm mit dem Hauptquartier in Ziegen⸗ 
hain nehmen. Zum Oberbefehlshaber neben dem General⸗Leutnant Carl 
d. Wurmb war Landgraf Friedrich bestimmt, der sich damals in 
Fassel aufhielt) und sich dazu bereit erklaͤrt hatte. Wittgenstein 
nahm erfreut Kenntnis von dieser Schwenkung und konnte endlich einen 
Eilboten ins preußische Hauptquartier senden mit der Nachricht, daß der 
Kurfuͤrst jetzt geneigt sei, zusammen mit Ruͤchells Korps einen Vorstoß 
nach Suͤden zu unternehmen, um die Armee des RKoͤnigs zu entlasten. 
Es war zu spaͤt. Der Bote (Legationsrat Greuhm) erreichte sein Ziel 
nicht mehr, er traf unterwegs schon auf die Fluͤchtlinge von Jena! 
In bangem Harren waren die letzten Tage verflossen, und mit fieber⸗ 
hafter Spannung wartete Wilhelm auf Nachricht vom Kriegsschauplatz. 
Am großen Bettag (15. Oktober) war er zusammen mit dem Landgrafen 
Friedrich in der Kirche und betete inbruͤnstig fuͤr den Sieg der preußischen 
Waffen. In der Nacht darauf kam der Kriegsrat v. Starckloff und 
hrachte die erste Nachricht von der Katastrophe von Jena, die dann 
von Waitz und einige Tage spaͤter von dem reumuͤtig zuruͤckkehrenden Kur— 
prinzen, der die Schlacht im Gefolge Hohenlohes mitgemacht hatte, in 
all ihren furchtbaren Einzelheiten bestaͤtigt wurde. 
Der Kurfuͤrst hatte kein großes Zutrauen auf die preußische Armee 
zesetzt, aber der Eindruck der Niederlage auf ihn war dennoch geradezu 
niederschmetternd. Und nun kam die bange Sorge: wie wuͤrde der Sieger 
die gewiß nicht einwandfreie Politik Hessens auffassen? Nach der Ruͤck⸗ 
kehr von Naumburg hatte der Kurfuͤrst einen Brief Dalbergs vorge— 
funden mit der Versicherung Napoleons vom 1. Oktober: „er habe 
keinen Grund, sich uͤber Cassel zu beklagen“ aber mit dem Zusatz »il 
faut qu'il soit vraiment neutre«. Am 2. Oktober hatte ebenso Talley⸗ 
rand die Anerkennung der hessischen Neutralitaͤt ausdruͤcklich bestaͤtigt, 
sodaß Malsburg (der gleich darauf Paris verließ und nach Cassel 
kam) zuversichtlich schrieb: „Gleich einer Insel im stuͤrmischen Meere 
wuͤrde Hessen mitten auf dem Kampfplatz ruhig dastehn und Hoͤchstdero 
1) Die drei Bruͤder hatten sich im August dort getroffen, Landgraf Carl war aber 
am 31. August schon wieder nach Holstein zuruͤckgekehrt, von wo er einen spaͤter viel 
Vheehemen Brief an Haugwitz richtete, der in die Haͤnde Navoleons fiel. Veral. unten 
5. 271f.
	        
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