266 Kurprinz, Bluͤcher und Ruͤchell Erfurter Kriegsmanifest
Auf der Ruͤckreise nach Cassel begegnete er am 5. der Avantgarde des
Bluͤche r'schen Korps, das trotz seines Einspruchs durch Cassel mar⸗
schiert und von dem kriegsbegeisterten Kurprinzen, der preußische
Uniform angelegt hatte, im Triumph durch die Straßen der Stadt ge—
fuͤhrt war. Bluͤcher mußte wieder umkehren; der Kurprinz aber, welcher
„sich ganz ausgelassen bezeigte“ war nicht „zur Parition zu bringen“.
Am Abend des 6. Oktober wurde er als „vermißt“ gemeldet; er war
heimlich allein zur preußischen Armee geritten!). Um einen Eclat zu
vermeiden, ließ der Kurfuͤrst verlauten, es sei mit seiner Genehmigung
geschehn.
Bluͤcher war wuͤtend. Am 8. Oktober schrieb er an Ruͤchell: „Wir
sollten jetzt gleich Hessen invadiren, das Land brandschatzen, die Armee
desarmiren und den Rest des Schatzes aus Cassel holen“.?) Ruͤchell hatte
schon vorher in seinen dienstlichen Berichten an den ihm vorgesetzten
Kurfuͤrsten sehr spitze und boshafte Bemerkungen uͤber die „Weisheit
Sr. kurf. Durchlaucht“ gemacht. Jetzt sandte er ihm am 10. Oktober
durch einen Feldjaͤger ein „tolles Schreiben“, in dem er Wilhelms
Stellungnahme eine „Neutralité mit einem geheimen Colorit gegen
Preußen“ nannte und ihm vorwarf, „um einiger Neben⸗Vuen willen“
die gute Sache und seine eigene Existenz aufs Spiel zu setzen. Das
blieb nicht ohne Eindruck, ebensowenig wie ein besorgter Brief der Her⸗
zogin von Gotha, die ebenfalls Ruͤchells Ansicht wiederholte: „wenn ihr
Vater die gute Sache im Stiche lasse, so waͤre er und Hessen verloren“.
Auch das Erfurter Kriegsmanifest Friedrich Wilhelms III. vom
9. Oktober war nicht ungeschickt auf den Kurfuͤrsten berechnet, indem es
diesem Fuͤrsten, „der die Furcht nicht kennt und der die Unabhaͤngigkeit
als den hoͤchsten Gegenstand seines Ehrgeizes betrachtet“, einen besonderen
ehrenden Abschnitt widmete. „Eine oder mehrere gewonnene Bataillen
wuͤrden den Namen des ersten Churfuͤrsten von Hessen weniger unsterb⸗
lich machen als der Inhalt dieses Manifestes“ behauptete Wittgenstein,
der mit dieser Schmeichelei noch einmal zum letzten Male alle Hebel
seiner Beredsamkeit ansetzte.
Der Kurfuͤrst, der im innersten Herzen nichts sehnlicher als den Sieg
der preußischen Waffen wuͤnschte, sich nur zu keinem klaren Entschlusse
1) Waitz traf ihn am 10. in Gotha „noch sehr afficirt und abgemattet“. Der
Prinz erklaͤrte ihm, er habe sich in einer Geistesverfassung befunden, daß er die Lage
in Kassel auf keine Weise noch 24 Stunden haͤtte ertragen koͤnnen, ließ aber dem
Vater fuͤr die „guͤtige Explication“ seiner Desertion danken.
2) Hessenland 1921 S. 38, wo statt „8. September“ doch wohl: 8. Oktober zu
lesen ist.