Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Annaͤherung an Frankreich erwogen 
2so 
Nach Beseitigung dieses Steins des Anstoßes durfte Malsburg 
zu Paris endlich dem Gewaltigen nahen, hatte aber einen sehr ungnaͤdigen 
Empfang. Napoleon uͤberfiel ihn mit groben Vorwuͤrfen: wie man es 
habe wagen koͤnnen, einen Moͤrder bei sich zu behalten. „Der Kurfuͤrst 
soll wissen, daß ich der Staͤrkere bin. Ich kommandiere an vierzig 
Millionen und werde ihm nichts vergessen.“ Sein Minister des Aus—⸗ 
waͤrtigen Talley rand, fuͤr den Malsburg 200000 fr. mitgebracht 
hatte, ließ eher mit sich reden. Mehrere lockende Vergroͤßerungsplaͤne 
kamen zur Sprache. Das gesamte darmstaͤdtische Gebiet bis zum Main, 
Waldeck, Wittgenstein, das Deutschordensgebiet, die reichsritterschaftlichen 
Kantone Rhoͤn und Werra, kurz etwa „Philippi Magnanimi Laͤnder“ 
mit der Koͤnigswuͤrde kamen in Frage. In suͤddeutschen Blaͤttern stand 
schon, der Kurfuͤrst habe sich zum „Koͤnig der Katten“ ausrufen lassen. 
Talleyrand verlangte aber den Abschluß einer festen Allianz nach 
Art der Vertraͤge, die Frankreich mit Bayern und Wuͤrttemberg ab⸗ 
geschlossen hatte, und den Verzicht des Kurfuͤrsten auf die preußische 
Feldmarschallswuͤrde. 
Über all das wurde in den Monaten April — Juni lebhaft unterhandelt. 
Waitz haͤtte große Bedenken, Baumbach fand dagegen keinen An— 
stand, sich „ehender an Frankreich als an Preußen anzuschließen“, mit 
dem man gar zu leidige Erfahrungen gemacht habe. Der Kurfuͤrst stieß 
sich besonders daran, daß der Defensivcharakter des Buͤndnisses nicht 
scharf genug betont und der voͤllige diplomatische Bruch mit England 
darin vorausgesetzt war, wollte auch mit Preußen nicht brechen und dachte 
nicht daran, sein Generalat niederzulegen. Überhaupt war seine fran⸗ 
zoͤsische Antipathie doch viel zu stark, als daß er den Allianzplan be—⸗ 
sonders freudig begruͤßt haͤtte; der diente ihm viel mehr als ein Mittel, 
um auf das ungetreue Preußen Eindruck zu machen. Die Anwesenheit 
Bignons, der nach langer Abwesenheit ˖ am 14. Juni wieder trium⸗ 
phierend in Cassel eingezogen war, erinnerte ihn an alte Demuͤtigungen 
und ließ neue erwarten. Als im April uͤber den Haag die ersten Nach— 
richten von Napoleons Rheinbundplaͤnen durchsickerten, rief er aus: „Gott, 
welche Zeiten! Durch die Schwaͤche unsrer Monarchen ist es allein da⸗ 
hin gekommen!“ Die Aufregung warf ihn wieder einmal auf das Gicht— 
lager, sodaß er zum ersten Male seit 42 Jahren nicht imstande war, 
an dem Fruͤhjahrsexerzieren seiner Truppen teilzunehmen. Unter der auf— 
opfernden Pflege seiner Graͤfin erholte er sich so weit, daß er daran 
denken konnte, seine gewohnte Badekur in Nenndorf anzutreten und da— 
bei die von Jussow neuerbaute „charmante Lodge“ einzuweihen, als er 
1854
	        
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