258 Hessen und die preußische Schaukelpolitik Taylor verlaͤßt Cassel 1806
Ehren und Vorteile lagen, das zeigte das Beispiel der suͤddeutschen
Staaten. Es galt nur zuzugreifen wie diese und alle nationalen und
moralischen Bedenken fallen zu lassen. Die Auf loͤsung des alten Reiches
war doch nicht mehr aufzuhalten. Benachbarte kleine Reichsstaͤnde wie
Waldeck, Wittgenstein, Solms, Leiningen, Wied und die Reichsstadt
Frankfurt bettelten geradezu, eine Anerkennung ihrer Zugehoͤrigkeit zu
Kurhessen zu erhalten. Daß es geschah, „vermutlich, um der franzoͤsischen
Kontribution zu entgehn“, aͤnderte nichts an der Tatsache, daß sich jetzt
Belegenheit bot, die von dem Kurfuͤrsten so sehnlichst gewuͤnschte Arron⸗
dierung und Vergroͤßerung seines Landes zu erreichen — wenn Napoleon
damit einverstanden war. Daß in dessen erstem Plan der politischen Neu—
zestaltung Deutschlands unter den acht Staaten, die er am Leben lassen
wollte,) auch Hessen-Cassel war, wußte zwar der Kurfuͤrst nicht, fuͤhlte
aber, daß sein Schicksal in den Haͤnden des verhaßten Aventuriers lag.
Gezwungen, allen Schwankungen der neuerdings wieder ganz franko⸗
philen Schaukelpolitik Preußens zu folgen, zog Wilhelm auf vielseitigen
Rat unter Überwindung seiner Antipathie es vor, einmal einen direkten
Versuch zu machen, sich an Frankreich anzulehnen.
Ende Januar war der Minister v. d. Malsburg (S. 146), der
zuletzt in Berlin gewesen war, wieder nach Paris abgegangen. Napoleon
wollte ihn aber nicht empfangen, solange Taylor, der assassin, noch
in Cassel weilte. Der Englaͤnder mußte also jetzt doch geopfert werden.
Seit seinem Besuch in Hanau war Taylor der besondere protégé der
Kurprinzessin, die seit Ende 1805 mit ihrem Manne in Cassel sich auf—
hielt (sie wohnten dort uͤbrigens getrennt, der Kurprinz im Roten—
burgischen Palais, die Kurprinzessin in der Gemaͤldegalerie). Da der
Kurfuͤrst diese Intimitaͤt nicht gern sah, sich auch in der letzten Zeit uͤber
Taylors „Naseweisheit“ geaͤrgert hatte, so fiel es ihm diesmal nicht so
schwer, den Gesandten fallen zu lassen, obwohl dadurch sein so schon
gelockertes Verhaͤltnis zu England einen starken Riß bekam. Er verbot
sogar der Kurprinzessin, den Maskenball in der englischen Gesandtschaft
am 22. Februar zu besuchen, mit dem Taylor seinen Aufenthalt in Cassel
deschloß. Zwei Tage darauf?) reiste der Englaͤnder nach Berlin, wo
man ihn aber auch bald weiterkomplimentierte.
1) Bayern, Baden, Wuͤrttemberg, ein neuer Staat Rheinland⸗Westfalen, oͤsterreich,
Preußen, Sachfen und Hessen-Cassel (April 1806.) Vgl. Gagern, Mein Anteil 1, 118.
2) Nicht in der Nacht des Maskenballes „waͤhrend noch die Geigen klangen“, wie
Braͤfin Groeben, die Enkelin von Taylors Attaché Heathcote, der nach der Restauration
wieder dauernd nach Kassel kam, in dem interessanten Buch uͤber ihren Großvater (Ralph
deathcote, Letters of à voung diplomatist. 1907. S. 60) erzaͤhlt.